Über den Anfängen der Auswanderung aus dem alten Amt Damme liegt noch Dunkel. Fest steht, daß bereits vor 1800 eine rege Verbindung nach den Niederlanden bestand. Die Akten berichten von Amtseingesessenen, die sich in Holland aufhielten, dort wohnhaft waren oder auf holländischen Schiffen die Weltmeere durchfurchten und sich in holländischen Kolonien niederließen. So starb am 2. August 1830 im 70. Lebensjahre auf seinem Gute zu Hellenborch, einige Stunden von Kapstadt in Südafrika entfernt, der am 2. August 1761 zu Diekhausen in der Gemeinde Damme geborene Johann Michael Morell(A III 10). Als die Holländer noch im Besitze der Vorgebirge des Kaps der guten Hoffnung waren, hatte er sich dort niedergelassen und verheiratet. Zwei Töchter blieben ihm nach dem Tode seiner Gattin. Die älteste starb ledig am 15. Juni 1810. Die jüngere heiratete 1811 und gab einem Töchterchen das Leben, das nur ein Alter von 6 Monaten erreichte. Am 13. September 1815 folgte die Mutter und fünf Monate später am 27. Februar 1816 der Vater und Gatte. Nun war Johann Michael Morell allein. Die Regelung seiner nicht unbedeutenden Erbschaft schlug ihre Wellen bis nach Damme, woselbst ein Bruder um 1832 noch lebte.
Johann Bernard Steinemann aus Osterdamme, dortselbst
am 13. September 1767 als Sohn des Johann Steinemann und der Maria Anna
Wienholt geboren, kam über Holland nach Nordamerika. In einem
Bostoner Fabrikhaus versah er Dienste, und nachdem er als lediger Mann
verstorben war, suchte man um 1835 in der Dammer Gegend Erbenberechtigte.
Die Nachlassenschaft wurde anfänglich auf 30.000 Dollar beziffert;
bald verlangte man gar 30.000 Dollar Kaution. Die Höhe der Nachlassenschaft
läßt ohne weiteres den Schluß zu, daß der Erblasser
weit vor dem eigentlichen Beginn der Massenauswanderung hinausgezogen sein
muß, wohl schon vor der Jahrhundertwende.
Um 1835 schrieb man über ihn: "Vor mehreren Jahren verstorben."
Der eigentliche Wanderzug, die Massenauswanderung, begann nach der allgemeinen Öffnung des amerikanischen Kontinents im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Nordwestecke unseres Vaterlandes wurde ab 1830 tief von der Auswanderung erfaßt. Der Abstrom nach Amerika wurde derart stark, daß andere Länder und Weltteile in den ersten Jahrzehnten völlig zurücktraten. "Amerika!" war die einzige Losung.
Das Jahr 1830 verzeichnete für die Gemeinden Damme und Neuenkirchen die ersten Auswanderergruppen, Holdorf folgte ein Jahr später. Die Erstauswanderer aus Damme sind: Franz Stallo mit 5 Kindern, ferner Hermann Putthoff, Margretha Barhorst, weiter Sohn und Tochter des Caspar Börger. Die Bauerschaft Rottinghausen steuerte hinzu die Gebrüder Anton und Bernd Kramer aus einem Heuerhause des Kolonen Stührenberg und eine nicht näher bekannte Person vom Hofe des Kolonen Thale. Zu diesen 13 Personen aus der Gemeinde Damme kamen noch 4 aus Neuenkirchen, nämlich Johann Friedrich Steinbeck von Kötter Wessel Kramers Hofe, Joseph Welage (Wehlage) von Welagen Kotten auf der Neustadt und Heinrich Huesmann aus Welagen Heuerhause, weiter der Erbpächter Johann Heinrich Meyer auf Kolon Moormanns Hofe, der einige Jahre später seine Frau mit 7 Kindern nachkommen ließ.
Der Führer der Dammer Gruppe war F r a
n z Joseph S t a 1 1 o. Er war in Sierhausen in der Gemeinde Damme
geboren am 10./12. Mai 1793 als fünftes von insgesamt sieben Kindern.
Die Eltern, Heuermann und Lehrer Johann Bernard Stallo und Catharina Maria
Liening, wohnten in Trimpen "Leibzucht" (= Altenteil des Bauernhofs).
Nach dem damaligen Bildungsgange unterwies ihn der Vater in der Kunst des
Unterrichtens und schärfte seine Geistesgaben für die Erkenntnisse
der Naturwissenschaften. Nach abgeschlossener Ausbildung wurde er
obrigkeitlich angestellter Lehrer an der Schule in Grandorf, heute Gemeinde
Holdorf, wo er bis 1815 verblieb. Dann gab er den Lehrerberuf auf,
zog nach Damme, wohnte in einem kleinen Hause des Kaufmanns Sack und betätigte
sich als Buchdrucker, Buchbinder und Buchhändler.
Am 28, Juli 18141(Kirchenregister Damme) hatte er sich verheiratet
mit Catharina Schaiper, die am 2./4. April 1831 zu Damme verstarb.
Sechs Kinder schenkte sie ihrem Manne:
- Johann Bernard *10./13.04.1815
+ 9./11.10.1816
- Martin
*10./12.02.1816
- Ludwig
*11./15.11.1818
- Maria Anna
*01./03.0l.1821
- Viktor Christian Ferdinand *23./24.12.1825
+28./29.12.1825
- Theresia
*06./08.02.1827
Nach dem amtlichen Register soll Franz Stallo 1830 ausgewandert
sein. Die "Heimatblätter", Beilage zur Oldenburgischen Volkszeitung
in Vechta, berichten in Nr. 7 vom Jahrgang 1931, daß die Auswanderung
der Stallos auf den 24. April 1831 fiel. Es ist anzunehmen, daß Franz
-Stallo vorauswanderte; nach einem Jahre kam er zurück, um Familie
nachzuholen. Zur Betreuung des frauenlosen Haushaltes, ging ein junges
Mädchen, das in den Listen als fünftes Kind erscheint, mit hinüber.
Eine Charakteristik des Ausgewanderten sowie weitere Einzelheiten
aus seinem Leben und seiner siedlerischen Tätigkeit seien gebracht(Vechtaer
Zeitung Nr.8 von 1886):
"Franz Joseph Stallo war ein höchst exzentrischer Mann, der, obgleich er als Buchdrucker und Buchbinder in Damme ein gewinnbringendes Geschäft betrieb, einer ihm angeborenen Neigung zur Physik und Mechanik nicht widerstehen konnte. Er machte manche nützliche Erfindungen. Man schreibt ihm die Erfindung des Moorbrennens zu und die Einführung des Buchweizenanbaues in seiner Gegend, sowie das bewässern von Heidestrecken und Besäen derselben mit Fichtensamen, wodurch öde Ländereien, auf denen nicht einmal Heidekraut wachsen wollte, zu Tannenwäldern umgestaltet wurden. Aber wie es so oft geht bei solchen Autodidakten, verlor er sich noch häufiger ins Phantastische und Unerreichbare. Sein Geschäft wurde vernachlässigt, er kam, wegen seiner freisinnigen politischen und religiösen Ansichten, namentlich aber wegen seiner Tätigkeit, die Unterdrückten zur Steuerverweigerung und zur Auswanderung aufzureizen, sowie auch wegen Verbreitung aufrührerischer Schriften selbstverständlich mit der Landesregierung in Konflikt. Der Unruhestifter wurde eingezogen, mehrere Monate in Haft gehalten, seine Druckerei konfisziert, und so blieb Ihm selbst wohl nur die Auswanderung übrig. Im Jahre 1831 in Cincinnati angelangt, arbeitete er zuerst in einer Buchdruckerei. Von hier ein betrieb er erst durch zahlreiche Briefe nach seiner alten Heimat seine Agitation, und wirklich erfolgte auch 1832 gerade aus Damme, Vechta, Hunteburg, Osnabrück und Umgegend eine starke Auswanderung nach dem Westen der Vereinigten Staaten. Nun dachte Franz Joseph Stallo an eine deutsche Ansiedlung. Ein Verein wurde gebildet, Land in Auglaize County ausgesucht, und das zu erbauende Städtchen sollte (gegen den Willen Stallos) Stallotown beißen. Wie Rom zuerst nur ein mit einem Graben umgrenzter Raum war, so bestand Stallotown zunächst nur aus einer an einem mächtigen Eichbaum angenagelten hölzernen Tafel, auf der "Stallotown" zu lesen war. Stallo machte sich als Feldmesser der neuen Siedlung nützlich: Überhaupt wuchs die neue Kolonie trotz der eigentlich ungünstigen Lage, die erst später durch Austrocknung verbessert wurde, im Sommer 1833 bereits zu 100 Seelen an. Die Cholera aber, die in diesem Jahre in Cincinnati so verheerend aufgetreten war. erreichte auch Stallotown und forderte dort verhältnismäßig mehr Opfer als in den großen Städten und unter diese auch Franz Joseph Stallo. Das Städtchen hat den Namen des Gründers nicht aufbewahrt und denselben später mit dem Namen Minster vertauscht."
Über Stallotown ließ sich der aus Vechta gebürtige und von Steinfeld ausgewanderte Lehrer Heinrich Joseph Böhmer in einem Briefe, geschrieben am 8, März 1835 in Fort Jennings (Putnam County), wie folgt hören(Sonntagsblatt Nr21 von 1835):
"....... Wie ich in meinem letzten Briefe bemerkte, setzten wir unsere
Reise Ende Februar weiter ins Innere des Landes fort, richteten dabei vorzüglich
unser Augenmerk auf den westlichen Teil Ohios und fuhren deshalb mit einem
Kanalboote von Cincinnati auf Dayton. Von Dayton reisten wir über
Piqua nach Stallotown, etwa 48 Meilen, besuchten die Bekannten aus unserer
Gegend, besahen die Stadt mit ihrer Umgebung und verweilten dort 3 Tage.
Die Lage dieser Stadt ist nach meiner Meinung im ganzen gut zu nennen;
sie liegt 18 Meilen von Piqua und 12 Meilen von St. Maris (beide neue mit
schnellen Schritten aufblühende Städte), recht an der Chaussee
von der ersten zur letzten Stadt, dazu in der Nähe des neuen Kanals.
In jeder andern Hinsicht aber läßt sie vieles zu wünschen
übrig und ist mancher, darin nicht zu billigen. Man hat sich,
wie es scheint, bei Anlegung derselben das Ideal viel zu hoch gestellt
und wird dieses jetzt schon ein Hindernis zum Emporkommen der Stadt.
Der Raum des Platzes ist dazu so groß, als wenn ein zweites Paris
darauf gebildet werden soll, dahingegen sind die Lose so angelegt, daß
sie von den Eigentümern zu nichts andrem als zum Hausbau benutzt werden
können, es sei denn, daß die Stadt auf einmal oder in ein oder
zwei Jahren überall angebaut würde, wofür aber schlecht
gesorgt ist, sowohl dadurch, daß man viele der besten Lose in die
Hände der Spekulanten hat kommen lassen, die selbe nur gegen tüchtigen
Gewinn wieder verkaufen, als auch, daß für Professionisten usw.,
die sich dort etwa niederzulassen gedenken, in der Nähe der Stadt
für billiges Geld kein Platz mehr zu haben ist, indem dies von den
Gründern der Stadt sofort alle in Beschlag genommen wurde. Der
Grund, warum ohne einen allgemeinen Anbau der Stadt die Lose zum Fruchtbau
nicht tauglich sind, liegt in der Form derselben, Sie sind an der Hauptstraße
60 Fuß breit und 2640 Fuß lang. Eine Summe Geldes würde
allein die Umzäunung dieses schmalen Stückes Landes kosten, und
wollte auch einer diese Kosten so wenig als die Kultivierung sparen, so
würde er dennoch wegen des zu großen Schattens und Sonnenstichs
zwischen den auf seiner Nachbarn Lose stehenden mehr als 100 Fuß
hohen Bäumen keine Früchte darauf ziehen, um so weniger, da er
dann nicht Hunde genug wird halten können, um das Wild, vorzüglich
die Eichhörnchen, wird abwehren können. Dabei ist der Boden
in der Stadt und deren nächster Umgebung so schlecht, als ich ihn
irgendwo im Staate Obio gesehen habe; er besteht durchgängig aus weißem
Lehm, der zwar fruchtbarer ist, als der Lehmgrund in Deutschland zu sein
pflegt, aber auch mit diesem die Eigenschaft hat, daß er kein Wasser
einläßt, mithin bei Dürre der Frucht keines wieder geben
kann, und ist jenen auch wohl der Grund, daß die Wege in der Stadt
den größten Teil des Jahres über so naß und dreckig
sind, daß man bis an die Knie durch den Kot waten muß, wozu
jedoch der last zu flache Boden und Mangel an Abzug vieles beitragen
Gutes Quellwasser ist bisher auch in der Stadt noch nicht zu erzielen gewesen,
und ist dort kein Flüßchen, wodurch dieser Mangel ersetzt
werden kann, welcher um so härter entbehrt wird, als durch die Anlegung
einer Mühle wo nicht ganz unmöglich gemacht, doch sehr erschwert
wird, denn Windmühlen sind hier zwischen dem vielen Holze nicht anwendbar
und Dampfmühlen zu kostspielig zu unterhalten.
Vielleicht übersah der selige Stallo alle diese Übel und
Hindernisse auch noch nicht, indem er sich nach Aussage verschiedener hiesiger
Bekannten lange sträubte, seine Kolonie an dem jetzt gewählten
Orte anzulegen, allein er habe der übermacht weichen und dem ungestümen
Verlangen seiner Begleiter nachgeben müssen, die, des Laufens im Busche
überdrüssig, von ihm zum Weitergehen nicht hatten bewogen werden
können. Etwa 2 Meilen von der Stadt ist das Land besser, und
findet man dort mehrere vortreffliche Stellen; rund um dieselben ist es
auch schon auf 6 Meilen von den Deutschen weggekauft, und sollen sich dort
schon an die 200 Familien niedergelassen haben. Die Stadt aber selbst
ist bis jetzt noch so gut wie gar nicht angebaut, die darin errichteten
Blockhäuser liegen noch so weit voneinander, daß man von dem
einen kaum daß andere sehen kann. Der Bau der Kirche, zirka
60 Fuß lang und 40. breit, von aufeinandergelegten Balken verfertigt,
ist zwar jetzt insoweit vollendet, daß darin Gottesdienst gehalten
werden kann, allein es fehlt ihr noch an einem Geistlichen, welchen sie
ungeachtet der 350 Dollars, die mittelst Subskription zu seinem Unterhalt
offeriert sind, noch nicht erhalten haben können; ebenfalls fehlt
es den Einwohnern auch noch an einem Schullehrer. Wäre Stallo
beim Leben geblieben, vielleicht sähe es dort schon besser aus, denn
es ist jetzt keiner, der sich der allgemeinen Sache mit Ernst annimmt,
weshalb auch die allgemeinen geimeinnützigen Bauten sehr schlecht
betrieben werden, wie auch der Anbau der Stadt überhaupt langsam von
statten geht. 6 Meilen nördlich von Stallotown liegt Neu-Bremen, welches
mit jenem gleichen Vorteile genießt, aber auch gleiche Nachteile
teilt, jedoch ist Stallotown schon stärker besettelt ......"
Gemeinheitskommissar Nieberding, ein Zeitgenosse der Erstwanderer, ließ sich von einem Rückkehrer über Stallos Tod und die schwere Zeit der ersten Ansiedlung berichten("Sonntagablatt", Vechta. Nr.20/21 von 1834):
"...Auf seinen Reisen hat er sehr viele und fast die meisten Auswanderer aus hiesigen Gegenden gesehen, gesprochen oder doch von ihnen gehört. Sehr viele sind, wie er gehört hat, gestorben, zum Teile in Dürftigkeit, viele an der Cholera, manche an klimatischen Krankheiten. Unter andrem sind gestorben Stallo, früher Schullehrer zu Damme, dem Stallotown seine Entstehung verdankt, Zeller kl. Kalvelage aus Brockdorf (Gemeinde Lohne), der Müller Liening aus Holdorf mit seiner Frau und 7 Kindern, auch dessen Bruder und seine Frau, des früheren Polizeidragoners Gosmann Frau; dieser Gosmann hat dem P. mit weinenden Augen erzählt, daß er seine verstorbene Frau selbst habe in die Erde graben müssen usw. Die meisten Einwanderer bekommen die Diarrhoe, wogegen sie Sassafrastee trinken, worauf sie einen Ausschlag über den ganzen Körper bekommen wie feine Krätze. Wer nicht so glücklich ist, diesen Ausschlag zu bekommen, bekommt gewöhnlich Wassersucht, Schwindsucht usw. und stirbt. Auf neu gebrochenem Boden oder wo Wälder ausgerodet werden, ist die Kränklichkeit und Sterblichkeit größer als in Gegenden, welche schon lange kultiviert sind. Hinzu kommen die großen Entbehrungen, denen die sich ansiedelnden Anbauer im Anfange ausgesetzt sind.. ."
Das 100jährige Bestehen der Stadt Stallotown
(- Minster) wurde festlich begangen, wobei man des Gründers ehrend
gedachte. Zweifellos ist Stallo eine außerordentlich tatkräftige
Führerpersönlichkeit gewesen. Man könnte ihn als oldenburgischen
"Pilgervater" oder "Siedlungspionier" bezeichnen. Seine Auswanderung
stieß gleichsam für unsere Gegend das Tor nach Amerika
auf.