Viele sind ihm gefolgt. Was bewog sie, Verwandtschaft, Heimat
und Vaterland zu verlassen und gegen eine unbekannte Fremde einzutauschen?
Hören wir über die Ursachen der Auswanderung zwei Zeugen, die
Zeitgenossen des Geschehens waren, und zwar zu jener Zeit, als sich der
Strom formte und weitete.
Am 11. Juli 1834 wandte sich die Großherzogliche Regierung in
Oldenburg an das Amt Damme und erbat Bericht darüber, wie viele Personen
seit dem 1. Januar 1833 ausgewandert waren, wie groß das mitgenommene
Vermögen war und wie viele Personen etwa aus Amerika zurückgekehrt
oder in ihrem Entschluß zur Auswanderung noch vor der Einschiffung
wankend geworden seien. Die Regierung wünschte sodann Vorschläge
zur Beschränkung der Auswanderung zu erfahren und eine "Bemerkung
darüber, warum die Auswanderung gerade in diesem Bezirk so groß
ist". Das Amt antwortete darauf am 31. Juli 1834 [A
III 7.]:
Forscht man den Quellen und Ursachen der in hiesiger Gegend noch
immer zunehmenden Auswanderungslust nach, so scheinen sie hauptsächlich
1. in dem Mißverhältnisse der Zahl der eigentumslosen
Heuerleute zu den Grundbesitzern zu liegen. Das Grundeigentum ist
im hiesigen Amte in großen unteilbaren der freien Disposition fast
ganz entzogenen Maßen in dem Besitze einiger Klassen vereinigt.
Daher vermehrt sich bei zunehmender Bevölkerung die Klasse der
Heuerleute ganz unverhältnismäßig, und diese sind genötigt,
in einem an sich schon sehr unsicheren und unabhängigen Zeitpachtverhältnis
zu verbleiben, in neuerer Zeit infolge vermehrter Konkurrenz und durch
die große Strenge der Colonen gegen ihre Heuerleute, wozu erstere
sich durch die für den Landmann so ungünstigen Zeitumstände
und die daraus für sie selbst häufig hervorgehende Verlegenheit
gewissermaßen gezwungen sind, noch drückender geworden ist.
Der Heuermann bleibt trotz allen Fleißes und allen Arbeitens ungeachtet
immer durchaus abhängig von seinem Bauern, dem er in der Regel fast
unangemessene Dienste leistet und dabei noch Gefahr laufen muß, von
ihm vertrieben zu werden und den mit unendlicher Mühe kaum in Stand
und Düngung gebrachten Acker wieder verlieren zu müssen, wo er
mit der Bearbeitung und Verbesserung eines schlechten Ackers von neuem
anzufangen genötigt ist. Unter solchen Verhältnissen und
ohne die Aussicht, sich durch den angestrengtesten Fleiß ein eigenes
Besitztum und eine unabhängige Existenz verschaffen zu können,
ergreift dann der Heuermann, der an keinen Besitz gebunden ist, nur zu
gern die Gelegenheit, aus dem Vaterhaus in fremde Weltteile hinüber
zu gehen, wo er, befreit von allen Beschwerden, die ihn hier niederdrücken,
ein glückliches Leben sich anschaffen zu können wähnt.
Zu dieser an sich schon traurigen Lage der hiesigen Heuerleute kommt
dann
2. daß in neuerer Zeit die früheren Erwerbsquellen
der geringen Klasse sich sehr vermindert haben, wohin besonders der sonst
oft sehr reichliche Verdienst der Hollandsgänger gehört.
Dieser hat jetzt so abgenommen, daß viele Leute jetzt aus Holland
zurückkommen, ohne Arbeit gefunden zu haben, und daß sie, welche
sonst 200 Rth. und darüber mit zurückgebracht, jetzt mit einem
Überschuß von 20-30 Rth. sich begnügen müssen.
Endlich
3. trägt aber auch der Umstand zu der immer mehr zunehmenden
Auswanderungslust bei, daß fast alle hiesigen Eingesessenen bereits
viele Verwandte und Bekannte in Amerika haben, die fortwährend bemüht
sind, durch die dringendsten Einladung und durch größtenteils
gewiß sehr übertriebene Schilderungen ihrer glücklichen
Lage in dem neuen Vaterlande die zurückgebliebenen Ihrigen ebenfalls
zur Auswanderung zu bewegen. Diese Einladungen finden dann nur zu
guten Eingang, und wer davon abrät oder ungünstige Nachrichten
über Amerika berichtet, wird unredlicher Absicht oder der Lüge
beschuldigt."
Gemeinheitskommissar H. Nieberding in Lohne, der verdiente Altmeister der Heimatgeschichtsforschung, ließ in Nr. 20 der Wochenschrift "Sonntags-Blatt, eine Wochenschrift für alle Stände" fast zur gleichen Zeit einen Artikel erscheinen unter der Überschrift: "Über die Auswanderung nach Amerika und die Schicksale einiger aus hiesiger Gegend dorthin ausgewandert Landsleute". Eingangs spricht er darin von dem Streben des Menschen, seine Lage zu verbessern. Dann fährt er fort [ "Sonntagsblatt", Vechta, Nr. 20 von 1834.]:
"Dieses Streben der Menschen nach Verbesserung ihrer Lage und Verhältnisse
ist dann auch die Ursache des seit ein paar Jahren so häufigen Auswanderns
nach Nordamerika. Die um das Jahr 1790 um die Kriege eingetretenen
hohen Getreidepreise bei guten Erntejahren hatten unsere Landsleute zu
einem Wohlstande gebracht, den sie bis dahin nicht kannten; die bei ihnen
einquartierten fremden Truppen hatten sie früher nie geahnte Bedürfnisse
kennengelernt, die ihnen behagten; der Luxus in Kleidung stieg rasch, öffentliche
Lustbarkeiten nahmen zu, und das Verzehren trat an die Stelle des Sparens.
Das ging alles recht gut einige 20 Jahre hin, so lange die Kriege, die
hohen Korn- und Viehpreise dauerten und im Nebenerwerbe Geld zu verdienen
war. Damals glaubten wirklich die meisten, daß es nie anders
werden würde und werden könne, und lebten sorglos in den Tag
hinein.
Aber es würde anders. Der Friede trat wieder ein, die
Getreidepreise fielen außerordentlich und kamen wieder auf den Stand
zurück, welchen sie vor dem Kriege hatten, ebenso die Viehpreise.
Der Nebenerwerb an Kaufgarn, Leinwand, wollenen Strümpfen usw. fiel
wieder auf die Preise zurück oder gar unter die Preise, welche diese
Artikel vor dem Kriege gehabt hatten. Aber die vor dem Kriege gewohnte
sparsame Lebensweise kam leider nicht wieder zurück. Die Menschen
waren einmal an den Luxus zu sehr gewöhnt, als daß sie sich
dessen nun entbehren konnten; die mit demselben aufgewachsene neue Generation
wußte auch nicht, daß es früher anders gewesen war und
anders sein konnte.
Dazu kam, daß fast alle Staaten durch die Kriege in Schulden
geraten waren und die neuere Geschäftsführung eine größere
Zahl Angestellter und die gestiegenen Bedürfnisse eine höhere
Besoldung derselben erforderte als frühere, und endlich, daß
die neuere Militäreinrichtung den Staaten eine ungeheure jährliche
Ausgabe verursachte, während die Einnahme von den Staatsdomänen
sich verminderte.
Alles dieses wälzte auf den Landmann eine Last, der er kaum
gewachsen war. Manche Gutsherrn, nicht selten selbst in Not, und
manche Zehntherrn suchten von den Pflichtigen zu ziehen, was nur immer
die Gesetze ihnen gestatten mochten. Manche Bauern, ebenso sehr in
Not, mußten sich wieder an ihre Heuerleute halten. So drückte
der eine den andern, und es fehlte und fehlt noch immer an Aussicht, daß
es besser werden kann und wird. In dieser traurigen Lage erschien
dem hart gedrückten Landmann der Nordamerikanische Freistaat als ein
Stern der Rettung.
Aus dem südlichen Deutschland, wo die Bevölkerung stärker
ist und der Druck und die Nahrungslosigkeit noch stärker sein mag
als bei uns, war die Auswanderung nach Nordamerika angefangen, und günstige
Nachrichten kamen von dorther zurück; diese verbreiteten sich, und
aus unserer Nachbarschaft, dem Hannöverschen, wanderten vor einigen
Jahren auch mehrere aus, welche günstige Nachrichten von dorther an
ihre Verwandten zurücksandten, wodurch sich dann auch die Auswanderungslust
bei uns verbreitete.
Wer die traurige Lage manchen Heuermanns kennt, unter welchem harten
Joche mancher Eigenbehörige lebt, wer Augenzeuge ist, wie sich der
Landmann quälen, wie er sich abdarben muß, um den Anforderungen,
welche der Staat, der Guts- und Zehntherr und nicht selten der Gläubiger
an ihn machen, Genüge leisten zu können, der wird diesen armen
Menschen nicht verargen, wenn sie den günstigen Nachrichten aus Nordamerika
trauen, die Beschwerden der Überfahrt und der ersten Ansiedlung gering
achten oder ganz verkennen, ihre geliebte Heimat, Angehörige, gewohntes
Leben und Alles, was ihnen hier wert sein mag, verlassen, um jenseits des
Meeres eine andere und, wie sie hoffen, bessere Heimat zu finden, wo sie
sich von dem hier gefühlten Drucke frei zu sein sich wähnen.
Mancher, der hier noch so viel besitzt, daß er die Kosten
der Überfahrt und der ersten Ansiedlung tragen kann, ist besorgt,
daß ihm dieses Vermögen nicht bleiben wird, und entschließt
sich zur Auswanderung, um zu retten, was er noch hat, in der Hoffnung,
dort sich und seinen Kindern ein sicheres Auskommen verschaffen zu können.
Mancher, der nur die Kosten der Überfahrt bestreiten kann, hofft,
das ferner Erforderliche dazu zu verdienen..."
Beide Zeitgenossen der ersten Auswanderer sind sich darin einig, daß
die Heuerleute die große Masse für die Auswanderung stellten.
Die Zahl der Heuerleute in den drei Gemeinden erhellt aus der Volkszählung
von 1835. Für die einzelnen Bauernhöfe richtete sie sich
nach der Größe des Gesamtbesitzes. Die Eigner schieden
von vornherein als Verpächter aus, sie waren heuerleutefrei.
Auf die Kötter entfiel im allgemeinen ein Heuermann, selten mehr.
Danach würden im Durchschnitt auf einen Kolonen oder Zeller in den
Gemeinden Damme und Holdorf mindestens 6-7 und in Neuenkirchen 4-5 entfallen.
Die Heuerleute waren grundbesitzlos. Sie hatten durchweg 2 bis
3 ha Pachtland; auf sterilem Boden kamen sie wohl auch über 4 ha.
Man unterschied sogar bei ihnen noch kleine Heuerleute mit 6 bis 12 Scheffelsaat
und große mit 12-24 Scheffelsaat. Die Pachtstücke lagen
nicht arrondiert, oft an den Ecken einer Flur, am Waldrand im Baumschatten
oder im Neugrund. Neben einem kleinen Krautgarten beim Heuerhaus
- die Heuerhäuser standen meistens im Kranz um den Bauernhof herum
- bestand die Heuer fast nur aus Ackergrund; genügende Weiden und
Wiesen fehlten. Als die Marken geteilt wurden, mußte mancher
Heuermann dorthin ziehen. Der Verpächter richtete ihm eine neue
Heuer ein, zog das alte bewirtschaftete Kulturland ein und schlug es zum
Hofe. Der Heuermann fing nun an, unter Schweiß und Opfern den
neuen Grund zu veredeln. Er erlitt dadurch zwar einen Rückschlag,
setzte aber doch seine Hand in den Neuboden, denn er war darauf angewiesen.
Durch die Markenteilungen verlor der Heuermann seinen Weidegrund für
das Milchvieh, zugleich die Möglichkeit des Schollen- und Plaggenstichs
und dadurch eine wesentliche Grundlage für die Düngerbereitung.
Das Fehlen von Wiese und Weide ließ die Heuerleute selten zwei
oder mehr Kopf Rindvieh halten. Seine Kinder waren angehalten, während
der offenen Jahreszeit an Wegstreifen, auf Ackerrainen und auf den "Wennigen"
- schmale Streifen zum Wenden des Pfluges - vor den Ackerstücken das
Hütgeschäft vorzunehmen. Hatte der Heuermann 2 Kühe,
spannte er sie nicht selten an als Zugvieh, wodurch der Milchertrag naturgemäß
leiden mußte. Die gewonnene Butter wurde zum größten
Teil verhökert, denn man war um jeden Groschen verlegen. Darum
wanderten vom geschlachteten Schwein die Schinken zum Kaufmann oder Aufkäufer.
Sorgsame und aufmerksame Heuerleute verstanden es trotzdem, 1 oder 2 Fettschweine
zum Absatz zu bringen oder Geld aus der Ferkelzucht zu gewinnen.
Der anfallende Dünger, fleißig mit Erde und Plaggen durchmischt,
mußte helfen, auch kargem Grund die notwendigen Nährstoffe zu
bringen; die Arbeit des Umkuhlens des Komposthaufens ließ man sich
schon gefallen. Sogar vom Eiergeld sparte man sich noch manchen Groschen
für Notzeiten ab. Solche Notzeiten entstanden besonders zur
Zeit der Fälligkeit der Staats- und Gemeindesteuern, und zum Maitag
und zu Michaelis (29. September) wünschte der Verpächter Heuerzins
zu sehen.
Die vom Pächter oder Heuermann zu leistende geldliche Entschädigung
war an sich nicht hoch zu nennen, wenigstens nicht nach unsern heutigen
Begriffen. Sie wurde nach Scheffelsaat umgelegt und betrug je nach
Bodenqualität 2-3 Reichstaler. Gemessen an der Kaufkraft des
Geldes zu jener Zeit war der Satz immerhin recht beträchtlich.
Für das haus wurde eine besondere Pacht nicht erhoben, bzw. Sie war
in die Gesamtsumme eingerechnet. Notwendige Instandsetzungsarbeiten
oder geringe Veränderungen mußte der Heuermann tragen, der Verpächter
lieferte Bauholz, Steine, Lehm und Dachstroh, sofern er die Notwendigkeit
der Arbeit anerkannte. Gedielte Fußböden waren im schornsteinlosen
Hause selten, einige Räume für die Nacht ebenfalls nicht, man
benutzte allgemein Alkoven oder Durke. Viele Heuerhäuser waren
sogenannte Doppelhäuser, also eingerichtet für zwei Familien.
Stallungen waren nicht vorgesehen. Wollte der Heuermann sie haben,
errichtete er sie sich selbst, brach sie beim Fortzuge ab oder verkaufte
sie seinem Nachfolger in der Heuer.
Zu der geldlichen Entschädigung an den Verpächter kam eine
weitere schwere Belastung. Das war die Kontraktlich verpflichtete
Hilfeleistung. Wenn der Verpächter in seinem einigen Betriebe
Hilfe haben wollte, "bestellte" er den Heuermann, der dann oft mit zwei
Mann anzutreten hatte. Eine Gegenrede ließ man nicht gelten.
Konnte der Heuermann die geforderte Arbeitskraft aus irgendeinem Grunde
nicht stellen, hatten er für Ersatz zu sorgen. In der Regel
war die Zahl der Arbeitstage unbeschränkt, noch dazu oft völlig
unentgeltlich, nur bestimmte Kost wurde gewährt. Fing man morgens
nach 9 Uhr an, fiel das Frühstück fort; hörte des Nachmittags
um die Vesperzeit die Arbeitsleistung auf, sparte der Verpächter das
Abendbrot. Der Nachmittagsdienst begann bald nach 12 Uhr. Als
Gegenleistung pflügte der Verpächter dem Heuermann unentgeltlich
den Acker, holte die Ernte herein oder stellte zu diesen Arbeiten wenigstens
ein Gespann zur Verfügung. Als weitere Gegenleistung gewährte
der Bauer dem Heuermann als Mitglied der Hoffamilie die erforderlichen
Fuhren bei Gelegenheit der Kindtaufe, der Hochzeit oder bei Sterbefällen.
Für die Bearbeitung der Heuergründe blieb dem Heuermann oft
nur
die frühe Morgenzeit oder der Spätabend. Frauen und Kinder
spannten sich stark an. Die Ernte wurde vielfach im Stande der Frühreife
geschnitten, da der Verpächter die Haupterntezeit für sich beanspruchte
und danach die Arbeitshilfe bestellte.
Schulentlassene Heuermannskinder fingen beim Bauern als Kleinknecht
oder Kleinmagd an und blieben oft bei ihm, bis die elterliche Heuer im
Erbgang übernommen werden konnte oder eine andere Heuer frei geworden
war.
Für den Heuermann kam zu allem noch das Moment der Unsicherheit
hinzu. Ihm konnte jederzeit - auch ohne Angabe des Grundes - die
Heuer "aufgesagt" werden. Kein Gesetz, keine Organisation oder Standesvertretung
stand ihm helfend oder beratend zur Seite, er war völlig in der Hand
des Verpächters. Eine Arbeitsverweigerung, selbst unter triftigen
Gründen, ein Wortwechsel, Krankheit des Heuermanns, Rückstand
an Heuergeld usw. konnten Grund zur Aufkündigung sein. Und wenn
der Heuermann die Aufkündigung erhalten hatte, dann entstand die Frage:
Was nun? Wo bot sich eine neue Heuer? Dann ging das Laufen,
das Fragen, das Bitten los; gute Freunde wurden eingespannt. Das
Angebot an Heuerstellen war geringer als die Nachfrage. Gelegenheit
zum Erwerb eines Eigentums bot sich außerordentlich selten und nur
zu Preisen, welche die Leute der "geringen Klasse" nicht erschwingen konnten.
So blieb dem Heuermann nur die Aussicht, sich zu ducken, Heuermann zu bleiben
von Generation zu Generation.
In beiderseitigem Wohlverstehen konnte sich trotzdem zwischen Heuermann
und Bauern ein "patriarchalisches" Verhältnis herausbilden.
Eine Reihe Heuermannsfamilien - besonders auf besserem Boden - saßen
jahrzehntelang von Vater auf Sohn in derselben Heuer. Man arbeitete
und schwieg, leistete und zahlte, man schaffte und sparte und lag auf der
Lauer, spähend um den Weg zur Lösung der drückenden Fessel.
Eine Lösung bot die Auswanderung.
Die Heuerleute machten davon Gebrauch. Durch die Auswanderung
veränderte sich manches hinsichtlich des heimatlichen Heuerwesens.
In den ersten Jahren des großen Aufbruchs sahen es die Bauern
vielfach gern, wenn ihr Heuermann abzog. An Anwärtern mangelte
es nicht, da die leere Heuer Gelegenheit zur Gründung einer Familie
bot, worauf viele warteten. Für den Bauern bot sich außerdem
eine günstige Gelegenheit, ohne besondere Härte die Heuer einzuziehen.
Davon machte man gern Gebrauch, wenn es sich um altes Kulturland handelte.
Mit zunehmender Auswanderung jedoch wurde das Angebot an Heuerstellen größer
als die Nachfrage. Nun war der Bauer wegen der Arbeitshilfe in Verlegenheit.
Er konnte sich allein mit Mehreinstellung von Dienstboten nicht helfen,
der Heuermann fehlte ihm immer. Der um die Heuer Fragende stellte
nun seinerseits Bedingungen. Die unbeschränkte Hilfe fiel auf
eine bestimmte Anzahl von Tagen (150, 120, 80, 40 ...) im Jahre.
Gedanken der Aufklärungszeit und Ideen der Bauernbefreiung (Stein-Hardenberg)
wirkten auch hier und verlangten Beachtung. Der Verpächter mußte
nachgeben. Über diesen Wandel der Zeiten ließ sich das
Amt Damme in einem Schreiben an die Regierung vom 25. Februar 1848 also
vernehmen ( A III 7.):
"...Die zahlreichen Auswanderungen haben für die hiesige Gegend
den größten Nachteil gehabt, daß ihr dadurch bedeutende
Kapitalen, insbesondere die tüchtigsten Arbeitskräfte, entzogen
sind. Auf der andern Seite ist aber auch der Vorteil damit verbunden
gewesen, daß recht viele unnütze Subjekte, welche die öffentliche
Sicherheit und die Armenkassen sehr gefährdeten, sich nach dem fremden
Erdteile entfernt haben und daß, was wesentlich in betracht kommt,
die Lage der hiesigen Heuerleute sich sehr gebessert hat. Die zahlreiche
Klasse dieser geringen Leute, die nur zu oft gar kein Unterkommen finden
konnten, stand früher unter einem unerträglichen Drucke der eigentlichen
Bauern oder Colonen, denen sie sich zu unangemessenen Diensten und den
härtesten Bedingungen verpflichten mußten, um nur eine Heuer
bei ihnen zu finden oder nicht derselben vertrieben zu werden. Das hat
sich bis jetzt ganz geändert; der Mangel an Heuerwohnungen mit angemessenem
Ackerland hat aufgehört; gute Heuerleute, ohne welche nach den hiesigen
landwirtschaftlichen Verhältnissen die Bauern nicht wohl bestehen
können, werden von diesen jetzt schon gesucht, und davon ist eine
Selbstfolge, daß sie sich einer milden Behandlung zu erfreuen haben
und des früheren Druckes entledigt sind.
Höchst wünschenswert wäre aber, daß nunmehr
endlich die Auswanderungen aufhörten, denn mit ihrer ferneren Fortdauer
entsteht ein immer größerer Nachteil, und es wird sich die frühere
Überfüllung bald in einen Mangel an Heuerleuten und Dienstboden
verwandeln. Leider ist jedoch noch wenig Aussicht zur Erfüllung
dieses Wunsches vorhanden! Viele Familien im hiesigen Amte treffen
schon wieder Vorbereitungen zur Auswanderung im nächsten Frühjahr
und Sommer. Maßregeln dagegen werden sich nicht anwenden lassen,
und es ist zu besorgen, daß das Übel nicht eher aufhört,
als bis diese Verhältnisse für die niedere Volksklasse entweder
hier günstiger oder in Amerika nachteiliger gestaltet haben..."
Die Lage der Heuerleute läßt sich kurz so zusammenfassen: Sie waren ohne Grundbesitz und hatten nur Aussicht, es auf Generationen zu bleiben; trotz harter Fron besaßen sie nur eine schmale wirtschaftliche Grundlage, daher waren sie stets angewiesen auf gewinnbringende Nebenbeschäftigung.
b) T a g e l ö h n e r u n d a b g e h e n d e B a u e r n k i n d e r .
Schlimmer noch als die Heuerleute waren die Tagelöhner daran.
Sie saßen meistens in den geschlossenen Behausungen oder am Rande
des Dorfes in dürftigen zu Wohnhäusern umgebauten ehemaligen
Stallungen oder Scheunen der Dorfinsassen, die wegen Handwerks- oder Handelsbetrieb
ihre Landwirtschaft eingeschränkt hatten und die unbenutzten Räume
auf diese Weise nutzbringend verwerteten. Die Räumlichkeiten
waren klein und beengt, aber sie boten einer jungen oder noch kleinen Familie
Platz. Ein Gärtchen dabei, vielleicht noch ein Stück Land
in der Ackerflur, das war die Grundlage der Ernährung, und zusätzlicher
Erwerb zum Leben war geboten. Man suchte Arbeit. Gärten
waren zu graben, die Ernte verlangte zusätzliche Kräfte, zur
Winterzeit gab es Beschäftigung im und am Holze; wer handwerkerte,
ging als Flickschneider oder Flickschuster, und als Hausschlachter bot
sich auch hin und wieder Gelegenheit zum Nebenerwerb, ebenso als Bauhilfsarbeiter.
Oft reichte des Mannes Arbeitskraft allein nicht aus, die hungrigen Mäuler
zu stopfen. Die Borgschulden wuchsen an, und oftmals mußte
die Mutter als Waschfrau auswärts arbeiten. Heranwachsende
Kinder dienten als Hütejungen und hatten dadurch wenigstens für
die offene Jahreszeit die Kost gewonnen. Unterstützung aus Armenmitteln
mochte man nicht gern annehmen und behalf sich, solange es ging, Hollandsgang,
Spinnen und Weben waren den Tagelöhnern nicht unbekannt. Weil
eine Heuerstelle schwer und Grundeigentum gar nicht zu erhoffen stand,
war Amerika für sie als der rettende Stern am Himmel. Man sparte
und sorgte, und wenn es zur Überfahrt nicht reichte, half die Allgemeinheit
aus über den Weg der Unterstützung aus der Armenkasse.
Nicht so schlimm, aber doch recht trostlos sah es derzeit für
die "abgehenden" Bauernkinder aus. Viele von ihnen suchten ihr Heil
in Amerika. "Franzlüning, 4 Söhne des Colonen" (
A III 7.) vermerkte der Reselager Bauernvogt Wöbkenberg
im Register der Auswanderten der Jahre 1830-1844. Allein aus der
Bauerschaft Dümmerlohausen-Oldorf zogen in den genannten Jahren hinaus
(
A III 7.):
"Colon Lange seine 3 Kinder 1843
Kötter Johann Heinrich Bollers seine 2 Kinder --
1840
Kötter Bäumer 1 Kind -- 1836
Kötter Geise 2 Kinder -- 1833
Kötter Brokamp 3 Kinder -- 1840
Kötter Arling seine 3 Kinder -- 1838
Kötter Steinemann sein Bruder -- 1836
Colon Enneking 2 Brüder -- 1831
Colon Runnebaum 2 Kinder -- 1840"
Das gleiche Bild ergab jede Bauerschaft. Warum zogen sie hinaus?
War sonst kein annehmbarer Weg? -- Sie konnten als Heuermann
vielleicht auf dem elterlichen Hofe unterkommen und dem anerbigen Bruder
Heuermannsdienste leisten. So war ihnen die Gründing einer Familie
möglich. Doch war diese Lösung für sie als Kinder
eines Grundbesitzers standesgemäß? In einen Grundbesitz
einheiraten war eine Seltenheit; da war es doch besser, wenn der Anerbe
die "Stäebrut" nahm, damit Hof zu Hof geschlagen werden konnte.
Noch blieb den "Abgehenden" ein anderer Weg: Zeit des Lebens als "Oehm"
oder "Meume", ehelos als Onkel oder Tante auf dem Hofe zu Bleiben und mit
zu schaffen und mit zu raffen für die Erben des brüderlichen
Besitzers. Amerika dagegen bot Grundbesitz - vielleicht größer
und räumlicher als daheim - und damit die Aussicht auf Vererbung desselben
auf eigene Geschlechterreihe. Der Kindesanteil half über die
Schwierigkeiten hinweg. Also: Auf nach Amerika!
Unter 279 in der Zeit von 1856 - 1880 ausgewanderten Familien befanden
sich 44 Grundbesitzer. Ihre Zahl dürfte für die Zeit von
1831 bis 1855 sich nach vorsichtiger, jedoch noch nicht abgeschlossener
Festellung auf reichlich 50 belaufen, so daß mit einem Durchschnitt
von 2 Grundbesitzern ("Stellenbesitzern" sagte der Amtsbericht) für
das Jahr gerechnet werden darf; sie gehörten zumeist der Klasse
der Kötter an. Wenn sie sich der Auswanderung anschlossen, so
kann der Grund nur in dem Mißverhältnis zwischen Nahrungsspielraum
und standesgemäßer Lebensführung gelegen haben. Im
Fremdlande war man dieser Sorge enthoben, auch etwa drückender Schuldenlast.
Man verkaufte daheim das Besitztum, zahlte zurück und richtete sich
mit dem verbleibenden Rest in Amerika wieder ein, vielleicht auf größerer
Stelle als in der Altheimat, so daß ihnen gleichsam eine Führerstellung
winkte. - Unter den Auswanderern befanden sich auch einzelne Kolonen
mit erheblichen Geldsummen; aus wirtschaftlicher Notlage brauchten sie
nicht fortzuziehen. Sie lockte wohl nur die Fläche.
Heuerleute, Tagelöhner und kleinere Grundbesitzer waren auf zusätzliche
Einnahmequellen angewiesen, und auch abgehende Bauernkinder nahmen die
Gelegenheit wahr. Zusätzliche Einnahmequellen boten der Buchweizenanbau,
der Hollandsgang und die Leinenindustrie.
c) D e r B u c h w e i z e n a n b a u.
Für den Buchweizenanbau mußte das abgetorfte Moor an der
Oberschicht mit besonders geformten Hacken zerkleinert werden. Diese
Arbeit wurde bereits im Spätwinter, wenn die Witterung es nur zuließ,
in Angriff genommen und im ersten Frühjahr vollendet, bevor die eigentliche
Frühjahrsarbeit einsetzte. Nach dem Brennen erfolgte die Einsaat;
beides mußte ebenfalls als Zwischenarbeit ausgeführt werden.
Mühsam war die Ernte, da wegen des weichen Moorbodens das geschnittene
Korn mit Schiebkarren hereingeholt werden mußte. Buchweizengarben
können nicht gelagert werden, man war also gezwungen, sofort die Drescharbeiten
vorzunehmen. Nach Feierabend bis in die Nachtstunden hinein hörte
man dann die hölzernen Flegel klappern. Das Buchweizenstroh
fand geringe Verwendung als Futter, mehr als Streu. Die Spreu sonderte
man mit großen geflochtenen Wannen (Staubwannen). Das leichte
"Kaff" mischte man dem Futter der Sauen bei, die es gerne nahmen.
Gesundes Korn wurde auf den Markt gebracht; Buchweizenmehl spielte vor
allem im bäuerlichen Haushalte eine nicht unerhebliche Rolle (Buchweizenpfannkuchen).
Bei der Zuteilung des Eigenbedarfes an Buchweizen stand die Sparsamkeit
Pate. Geringes Mehl - nicht immer geriet die Ernte - benutzte man
zur Schweinemast. Die Überlieferung weiß zu berichten,
daß Schweine, mit Buchweizen gefüttert, guten Fettansatz gehabt
haben und frei von einem "Beigeschmack" waren. "Kleine Heuerleute"
waren auf Buchweizenanbau und Buchweizenmast fast allein angewiesen, wenn
sie überhaupt zum Schlachten kommen wollten.
Moorgrund war um geringe Pacht, wenn überhaupt solche gefordert
wurde, zu haben, schon aus Grunde, weil durch die Verarbeitung des Bodens
allmählich Weidegrund bzw. Kulturland entstand. Der Buchweizenanbau
war aber nur jenen Einwohnern möglich, die nicht kilometerweit vom
Moore entfernt wohnten; die breite Masse wurde von ihm nicht erfaßt.
Ob der Erstauswanderer Stallo, wie schon erwähnt, als Pionier
des Buchweizenanbaues anzusehen ist, soll hier nicht entschieden werden.
d) D e r H o l l a n d s g a n g.
Der karge Boden Nordwestdeutschlands bot der starken Bevölkerung
nur bei größter Sparsamkeit und Arbeitsamkeit das zum Leben
Erforderliche, Mißernten und kriegserfüllte Zeiten - an beiden
hat es nicht gefehlt - hatten Hungerjahre und Notzeiten zur Folge.
Brotgetreide mußte gekauft werden, Kriegsschäden waren zu beheben,
Schatzungen der Regierung standen zu bezahlen. Da wurde für
viele das benachbarte und durch regen Außenhandel reich gewordene
Holland die Rettung.
Die älteste Nachrichten über den Hollandsgang reichen bis
etwa 1600 zurück ( Tack, Die Hollandsgänger.).
Es müssen schon schwerwiegende Gründe gewesen sein, welche die
damalige Landesregierung veranlaßten, ihn zu verbieten (1605).
Nach den schweren Zeiten des Dreißigjährigen Krieges lebte der
Hollandsgang wieder auf; wirtschaftliche Nöte und Steuerlast drückten.
1685 wurden aus Dinklage 60 Männer und 3 Frauen als "nach Holland"
gemeldet. Die Zahlen schwollen an. In besten Jahren zählte
man bis zu 25 000, die bei Lingen die Emsbrücke passierten und den
Brückenzoll entrichteten.
Im Februar/März eröffneten die "Büßgänger"
(Büse = Fischkutter) den "hollandsken Tog". Sie suchten die
Hafenstädte auf und nahmen Dienst auf Fischfangschiffen, zumeist auf
Heringsfängern. Man machte so fiele Fahrten mit, als die heimatliche
Arbeit es zuließ, und vereinbarte mit dem Kapitän die Beteiligung
an weiteren Fangreisen für die Zeit der häuslichen Abkömmlichkeit.
In den Monaten April/Mai gingen die Torfstecher, Torfmacher hinaus zur
harten Moorarbeit, auch die "Polderlüe" zum Schlöten der Gräben
und Kanäle, die Erdarbeiter zum Bau von Wegen und Wasserzügen.
Sie nannten sich die "Baggers". Die Baggers nahmen auch andere Spatenarbeit
an, sie gruben den Holländern die Gärten, den Blumenzüchtern
und Gemüsebauern die Felder. In der Zeit zwischen heimatlicher
Heu- und Getreideernte rüstete die Grasmäher und Heumacher die
gedengelten Sensen, die Harken und Forken. Im Rucksack Speck und
Fleisch, Bohnen und Erbsen, im "Kissentog" geringe Wäsche und Kleidung,
so fanden sie sich zu Trupps zusammen. War ihre Schar groß,
lohnte es sich, die mitzunehmenden Sachen durch ein Gespann fortbringen
zu lassen; so erhielten am 10. April 1819 die Ackersleute Heinrich Sandermann
und Arnd Meyer aus Rüschendorf in der Gemeinde Damme je einen Reisepaß
nach Westfriesland, "um Säcke für die Hollandsgänger zu
transportieren" (A IV d 6.). Mit der Zeit bildeten
sich für die Fußgänger bestimmte Treffpunkte heraus, besonders
für die Gruppen mit gleichem Zielorte.
Die meisten Hollandsgänger hatten einen festen Arbeitsplatz, den
sie, einmal zu einem Arbeitstrupp gehörend, Jahr um Jahr einnahmen.
Sie unterstanden einem Arbeitsannehmer, "Macker" genannt, der vorher mit
dem holländischen Arbeitgeber über den Umfang der Arbeit und
den Lohn einig geworden war und danach in der Heimat die Arbeitskräfte
gedungen hatte. Die Arbeit selbst wurde auf Akkord umgelegt.
Der Arbeitgeber stellte höchstens die Unterkunftsräume; die Torfarbeiter
bauten sich Torfhütten. Für die Beköstigung war man
selbst besorgt; größere Gruppen hatten wohl gar eine Frau als
Köchin usw. bei sich. Brot, Kartoffeln und Gemüse erstand
man an Ort und Stelle. Da die Arbeit schwer war - es wurde von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang angestrengt gearbeitet - aß man viel Speck und
Brot. War die Gesamtarbeit vollendet, erhielt der "Macker" den vereinbarten
Lohn und teilte die Summe anteilmäßig aus.
Die harte Arbeit, die einseitige Ernährung, die ungenügende
Ausspannung, die veränderten Witterungseinflüsse verursachten
nicht selten schwere Erschütterungen der Gesundheit, hatten manchmal
auch den Tod zur Folge. Die heimatlichen Kirchenbücher berichten
darüber, auch darüber, daß abgearbeitete Hollandsgänger
auf dem Wege zur Heimat zurück noch zum Erliegen kamen.
Zu den "Büßgängern", "Polderlüen" und Grasmähern
kamen sodann noch jene, die der heimatlichen Scholle nicht mehr so eng
verbunden waren und daheim entbehrt werden konnten. Sie nahmen Dienst
auf holländischen Handels- und Kriegsschiffen und kehrten in der Regel
gar nicht mehr zurück; sie bleiben in Holland oder in seinen Kolonien
hängen. Sie "domizilierten" im Königreich Holland, heißt
es dann im Register. Manche der Schiffer konnten im Kirchenregister
der Heimatgemeinde gelöscht werden ("Heimatblätter",
Vechta, Nr. 9 von 1931. Nach den Kirchenregistern.). "Johann
Bernard Bagge aus Meyers Leibzucht zu Rüschendorf, um 1820 auf See
gegangen und seitdem verschollen. - Bernard Witteriede aus Holdorf,
26. November 1831 gestorben in Rotterdam. - Johann Bernard Joseph
Gausepohl aus Gers Heuer zu Ossenbeck, 27. Juli 1831 vor St. Petersburg
als Matrose verunglückt. - Johann Heinrich Wübker aus Osterfeine,
1832, 17 1/2 Jahre alt, gestorben auf dem Schiffe des Kaufmanns H. von
Hoboken zu Rotterdam. - Johann Heinrich Schröder aus Borringhausen,
gestorben 28. August 1833 in Amsterdam an der Cholera, 25 1/2 Jahre alt.
- Bernard Heinrich Heidelmann aus Lampings Leibzucht, Kapitän des
belgischen Schiffes "la jeune Caroline", 22. September 1840 bei heftigem
Sturmwind in dem Augenblicke, als er die Höhe hat messen wollen, mit
dem Oktant in der Hand auf 40° 16" nördlicher Breite und 6°
7" Länge über Bord gefallen und ertrunken, 34 Jahre. -
Johann Heinrich Otting aus Meyers Leibzucht in Osterfeine, gestorben als
Matrose des belgishen Schiffes "Francisca Catharina" zu Havanna, 12. Juli
1841, 25 Jahre alt. - Bernard Rasche, als Matrose von dem niederländischen
Schiffe "Konning Wilh." über Bord gefallen und ertrunken. -
Johann Friedrich In der Rieden, Koch auf dem niederländischen Kauffahrteischiffe
"Hugo Grotius", 19. Dezember 1842 in Batavia gestorben, 37 1/2 Jahre alt.
- Bernard Franz Schaiper aus Osterdamme, 23. März 1843 als Matrose
des Niederländischen Partikulierschiffes "de Nederlande" in dem Militärhospitale
de welte reeden in Batavia gestorben, 30 Jahre alt. - Hermann Angelus
Karl von der Hoya aus Damme, 4. Juni 1846 in Texas in der Nähe des
mexikanischen Gebietes beim Baden ertrunken, 27 Jahre alt...."
Die heimkehrenden Hollandsgänger brachten den Lohn ihrer Arbeit
mit, in guten Jahren oft bis zu 200 Rth. für einen Einsatz.
Das war eine willkommene Gabe für den Haushalt, Vieh konnte gekauft,
Steuer bezahlt, die Heuer entrichtet werden usw. Und da man nie kontrollieren
konnte - die Hollandgänger verrieten nichts - wurde gewiß auch
mancher harte Taler im Strumpf geborgen und im Bettstroh versteckt für
bessere Anwendung; Vorsichtige liehen sogar Geld auf Grundbesitz aus.
Die Hollandgänger besorgten sich vor der Ausreise eine Bescheinigung
über die Heimatzugehörigkeit; ohne diese kam ein Grenzübertritt
nicht in Frage. Nur so konnte der Fremdstaat im Erkrankungsfalle
des Arbeiters, oder wenn sonst Kosten entstanden waren, Rückerstattung
von seiten der Heimatgemeinde verlange. Am 16. März 1834 stellte
die holländische Regierung Regreß um 16 Gulden 20 Cents für
den in Holland verstorbenen Bernard Witteriede aus Holdorf und am 25. Januar
1835 um 6 Gulden, die man dem Heinrich Brinkmann aus Holdorf vorgeschossen
hatte. Von Brinkmann war dahier nichts zu holen, ebenfalls nicht
von Johann Heinrich Kessen und Clemens Inderrieden aus der Gemeinde Damme,
denen man gleichen Vorschuß gegeben hatte. Johann Bernard Putthoff
aus Osterfeine fuhr als Matrose auf einem holländischen Kauffahrteischiffe.
Schiffbrüchig geworden, unterstützte man ihn und gab für
Kost, Logis und Wäsche 34 Rth. 29 Gr. aus; da die Mutter, die Witwe
des Hermann Putthoff bei Meyer in Osterfeine, nicht zahlen konnte von ihrer
kleinen Heuer, verlief auch diese Erstattung im Sande, d. h. die Landesregierung
mußte eintreten (29. November 1836). Auf Grunde der Heimatbescheinigung
konnten die Nachlaßsachen des Franz Hüninghake aus Osterfeine,
der als Matrose auf einem holländischen Kriegsschiff verstorben war,
den Angehörigen zugestellt werden (13. Dezember 1839), in gleicher
Weise dem beim Burdiek in Osterfeine bediensteten Knecht Heinrich Steinemann
für seinen Bruder, den Matrosen Bernd Steinemann. Hermann Heinrich
Clemens Rottinghaus war über Holland nach Surinam gekommen.
Nachgelassene Sachen gingen nach Rottinghausen zu seiner Mutter, infolge
Wiederverheiratung nachgelassene Witwe Rolfes (4. September 1847)...(
A III 10.).
Heimatscheine stellten die Kirchspielvögte aus; die am weitesten
zurückliegen, sind aus der französischen Zeit. Seit 1814
kamen neben den Heimatscheinen auch Pässe als Passagierscheine auf.
Die ersten Pässe für Hollandsgänger hatten eine Gültigkeit
von drei Jahren und gestatteten ein mehrmaliges Überschreiten der
Grenze. Später gewährte man nur eine Laufzeit von einem
Jahre.
1830 zerfiel das Vereinigte Königreich der Niederlande in das
heutige Belgien und Holland. Seit der Zeit nahm Hollandsgehen ab
trotz des gleichbleibenden Angebots der Arbeitskräfte. Infolge
des Unterbietens trat eine Lohnsenkung ein. Wer damals noch 50 Rth.
heimbrachte, war sehr froh; 20 Rth. wurden schon gern genommen. Wenige
Jahre später erließ die holländische Regierung ein Verbot,
ausländische Arbeiter in staatlichen Betrieben zu beschäftigen;
die privaten folgten nach. Das Hollandsgehen war vorbei.
Man versuchte, in andern Gegenden neue Arbeitsplätze zu gewinnen,
um den Ausfall wettzumachen. Von 1855 - 1864 weisen die Listen die
"Dänemarker" nach, die nach Fünen und Jütland resten, im
Jahre 1857 allein eine 22 Mann starke Gruppe Männer im Alter von 18
bis 44 Jahren. Auch Schleswig, Mecklenburg traten auf, sogar West-
und Ostpreußen mit Arbeiten an Bahnbauten. Doch haben die Bemühungen
auf zusätzlichen Erwerb einen größeren oder gar einen dauernden
Erfolg nicht gehabt.
Wie groß die Zahl der heimatlichen Hollandsgänger gewesen
sein mag, erhellt aus verschiedenen Bemerkungendes Amtes. Am 10.
Februar 1827 erhielt es 25 Pässe; sie reichten ein Jahr aus und wurden
am 10. Februar 1828 durch 50 neue ersetzt. Diese waren am 6. Februar
1829 aufgebraucht, und das Amt erbat postwendende Zusendung von 50 weiteren,
"da noch heute mehrere sich um neue Pässe zur Reise ins Ausland gemeldet
haben" (A IV d 6.). Die zugeschickten
50 konnten ein Jahr später abgerechnet werden. 30 neue kamen
herein, waren aber am 3. September 1830 restlos ausgegeben, und weitere
50 reichen bis zum 25. Februar 1831. Die neue dringliche Anforderung
auf 100 Stück fand folgende Begründung: "Da mehrere Matrosen
nach Holland zu reisen wünschen und darauf warten. Selbst möchte
das Amt sich wohl 150 Stück erbitten, denn es sollen Nachrichten von
Holland da sein, daß jeder mit einem guten Passe versehen sein müsse,
und so wandern jetzt all mit Pässen" (A IV d 6.).
100 Paßformulare kamen am 27. Februar 1831, schon am 11. März
hatte man nur noch 7 vorrätig; 150 neue mit den Nummern 687-836 konnten
bei 8 Gratiserteilungen mit 47 Rth. 48 Gr. beglichen werden. Bei
der nächsten Anforderung hieß es: "...da die Ausnahme von Pässe
jetzt so häufig ist (es sind seit Mitte Februar schon 200 ausgegeben),
daß fast täglich und dann morgens ununterbrochen jemand beim
Amte damit beschäftigt ist, der dann bei andern Arbeiten füglich
nicht mehr gebraucht werden kann, und wird es gewiß nicht unbillig
erscheinen, wenn das Amt auf Vergütung von angemessenen Copialen (Schreibgebühren)
ergebenst anträgt, die es dem Ausfertiger der Pässe zufließen
lassen könnte, den es doch selbst bezahlen muß (
A IV d 6.)." Unterm 20. Mai 1831 hieß es darauf:
"Dem Vernehmen nach gehen noch einige 100 Menschen in der nächsten
Woche nach Holland...( A IV d 6.)."
In den Pässen heißt es bei den "Büßgängern"
zumeist: "Auf Heringsfang", bei den Grasmähern: "Nach Nordholland
(= Schermerhorn - Feld - Langenreesse - Lüden - Haugwaat ..) zum Grasmähen",
bei den Seefahrern: "Nach Amsterdam und weiter zur See" oder "Nach Amsterdam,
um auf Schiff oder sonst Arbeit zu suchen". Ein Erstwanderer erhielt
folgenden Eintrag: "Nach Holland und weiter zur See, um sich dort was zu
verdienen und seine Eltern und jüngern Brüder zu unterstützen(A
IV d 6.)." Von 14 Pässe, im Monat März 1828
ausgestellt, lauteten allein 12 auf Amsterdam.
Durch die Hollandsgängerei ist viel Geld in die Heimat geflossen,
das vielen Familien der "geringen Klasse" geholfen hat, den Kopf über
Wasser zu halten, ja manche wirtschaftlich fest zu fundieren. Daß
für sie in der Heimat kein vollwertiger Ersatz geschaffen werden konnte,
ist bedauerlich, noch bedauerlicher, daß deswegen wertvollstes Menschengut
in die Fremde gehen mußte und der Heimat damit völlig verlorenging.
Die Erinnerung an den Hollandsgang ist noch heute im Volke lebendig; zusätzlich
Namen wie "Büßmanns", "Schippers Dirksien", "Mackers Ton (=
Anton)" beweisen es.
e) D i e L e i n e n i n d u s t r i e ( H a u s w e b e r e i ).
Der Flachs war seit undenklichen Zeiten auf dem Bauernhofe beheimatet,
seine Verarbeitung bekannt, und der Webstuhl gehörte zum Hausinventar.
In Truhen und Schränken bewahrte der Bauer einen guten Vorrat an Linnen
auf; bei Hochzeiten wurde die Linnenmitgift vorher genau festgelegt und
spiegelte den Wohlstand wieder. Knecht und Magd erhielten neben Barlohn
Linnenrollen, wozu die Herrschaft das Material stellte und die Dienstboten
die Arbeit (Flachsverarbeitung, einschließlich Spinnen und Weben)
übernahmen. Der Flachsanbau erforderte guten Boden und gehörige
Pflege.
Dem Heuermann fehlte der notwendige Ackergrund zum Flachsanbau; die
karg bemessene Heuer ließ es nicht zu. Wohl aber hatte er Arbeitskräfte
zur Verfügung, sowohl zum Spinnen, als auch zum Weben, vor allem in
den Wintermonaten von November bis März. Weil er auf Nebenerwerb
angewiesen war, kaufte er Heede und Flachs, auch wohl gesponnenes Garn.
Unter den nimmermüden Händen der Alten und Frauen schnurrten
die Spinnräder, und auch die Schuljugend wurde frühzeitig zu
den Arbeiten herangezogen. Die Männer bedienten den Webstuhl.
Gern verzichtete man im Hause auf die Stube, um Platz für den Webstuhl
zu bekommen. In jeder freien Stunde flog das Weberschiffchen, und
winters endete erst die ausgebrannte Tranlampe des Tages harte Arbeit.
Kaufte man fertiggesponnenes Garn, war der Verdienst nicht so groß,
es blieb nur der Weblohn. Gerade die kleinen Heuerleute mußten
zumeist wegen Mangel an Betriebskapital auf Flachs- bzw. Garnankauf verzichten;
sie arbeiteten für Garnlieferanten oder Leinwandhändler und wurden
zu Lohnarbeitern.
Flachs und Heede bzw. Garn erstand man im Dinklagischen, im Diepholzschen
bis nach Lemförde, Dielingen, Hunteburg hinunter; im Hannöverschen
wurde derzeit mehr gesponnen als gewebt. Zuerst waren die Weber gehalten,
das Webmaterial sich selbst zu besorgen und mußten deshalb oft Tage
unterwegs sein; allmählich bildeten sich Garnhandeleien heraus, d.
h. der Handel schaltete sich ein, wodurch den Webern ein Mindergewinn entstand,
der aber durch den Zeitgewinn wieder wettgemacht wurde.
Während der Bauer als Selbstversorger das gefertigte Linnen in
den Hausbestand aufnahm und beständig darüber wachte, daß
es sich mehrte, also selten etwas abstieß, war der Heuermann auf
Verkauf angewiesen. Den Verkauf vermittelten sog. Leggen. Das
waren öffentliche Linnenmärkte, wohin die Erzeuger ihre Ware
brachten und Käufer sich einfanden. Leggeanstalten bestanden
im Hochstift Osnabrück zu Osnabrück, Iburg, Ankum, Quackenbrück,
Bramsche und seit 1785 auch in Neuenkirchen; gerade dieser Ort war vorzüglich
für die Weber unseres Bezirkes bestimmt. Der Leggemeister maß
die Leinenrollen, klassifizierte das Linnen, stempelte es ab und bot es
dann zum Verkaufe aus. Das Osnabrücker Linnen - auch das unserer
Heimat gehörte dazu - genoß Weltruf; es ging vor allem hinaus
nach Holland, England, Spanien, Portugal, Westindien, Nordamerika und über
Malta in südöstlich gelegene Länder, wo es vor allem zu
Tropenkleidung gebraucht wurde.
Bis zur Zeit der Kontinentalsperre ging das Geschäft sehr flott.
Dann stockte es, und England kam nachher mit eigenen billigeren und vornehmlich
baumwollenen Sachen auf den Markt. Die Hausindustrie hierzulande
blieb jedoch am Leben, konnte sich sogar noch einigermaßen behaupten.
Der Bedarf war eben groß, und die Qualität zog.
Die Weber des Amtes besuchten die Leggen zu Neuenkirchen und Bramsche,
letztere vor allem deshalb, weil sich dort mehr Käufer einfanden und
sich gegenseitig aufboten. 1817 kam Neuenkirchen, das bis dahin zu
Hannover gehört hatte, teils an Oldenburg. Legge und Leggehaus
befanden sich auf hannoverschem (= osnabrückschem) Boden. Osnabrück
hob die Neuenkirchener Legge auf und vereinigte sie mit der von Bramsche.
Die hiesigen Weber mußten seit der Zeit nach Bramsche, wenn sie es
nicht vorzogen, das Linnen ohne den Leggestempel privat zu verkaufen.
Das Fehlen einer Legge auf oldenburgischem Boden wurde als Mangel empfunden.
Daher machte das Amt Damme laut Amtsprotokoll vom 29. Oktober 1824 der
Regierung folgenden Vorschlag ( XI 2.):
"Als sehr wünschenswert wird die Wiedereinführung dieser Leggeanstalt.....in Anregung gebracht.
Es sind zu Neuenkirchen vormals in jeder Woche am Donnerstag Legge-Verkäufe gehalten, und das Aufhören derselben ist sehr nachteilig gewesen, indem sich daselbst fast in jedem Heuerhause ein Webstuhl befindet; und die Weber jetzt über Mangel an Absatz klagen, da sie ihr Linnen, wenn sie es los sein wollen, nach den benachbarten Leggen zu Bramsche und Quackenbrück bringen müssen."
1826 kam es zur Wiedereinführung von Leggen, und zwar in Damme
und Neuenkirchen mit wöchentlichen Leggetagen. Nach dem Tode
des ersten Leggemeisters Niehenke erhielt jede Legge ihren eigenen Amtsbedientesten.
Doch sank die Neuenkirchener Legge immer mehr zur Bedeutungslosigkeit herab,
weil die Aufkäufer ausblieben; die von Damme konnte sich etwas besser
halten. Bramsche zog nach wie vor sehr viele Weber an, "weil die
wenigstens glauben, dort wegen der größeren Konkurrenz von wohlhabenden
Kaufleuten und des stärkeren Geschäftsbetriebes einen höheren
Preis zu erlangen, der die geringen Leute, wenn der Gewinn auf ein ganzes
Stück auch nur 12 bis 24 Gr. beträgt, den weiten Weg von vier
Stunden nicht scheuen und nicht in Anrechnung bringen läßt (XI
2.)". (Amtsbericht vom 6. August 1845.) Des geringen
Mehrverdienstes wegen brachte man also gern die Linnenrollen auf der Schubkarre
nach Bramsche.
Bei der Erhebung 1835 wurden in der Gemeinde Damme 460 Webstühle
gezählt, in Holdorf stellte man 110 Weber und in Neuenkirchen 360
Weber fest. Die Auswanderung dürfte auch hier stark eingegriffen
haben, wie der Amtsbericht vom 9. März 1866, der zugleich eine Übersicht
über die Leinenproduktion des Amtes Damme gibt, zeigte (
XI 2.):
"Nach der letzten Zählung befinden sich im Amtsdistrikt im ganzen 520 Webstühle, worauf nur zum Verkauf bestimmtes Linnen gewebt wird, und zwar auf 400 Stühlen für eigene Rechnung und etwa 120 Stühle für Lohn von Händlern, und diese Weberei beschäftigt vorzüglich in den 5 Monaten November-März (das Weben wird hier nämlich nur als Nebenerwerb betrieben und ruht fast ganz in den Sommermonaten, wo die Zeit durch die Feldarbeiten in Anspruch genommen wird), etwa 1500 erwachsene personen. Im Durchschnitt werden auf jedem Webstuhl in einem Jahre 18-20 Stück graues Leinen, jedes pl. m. 72 Leggeellen, mithin im ganzen etwa 10 000 verfertigt und für dieses Leinen heute nach Qualität 8-15 Rth. à Stück bezahlt. Von den 10 000 Stück Leinen fallen auf die 400 Webstühle etwa 7500 Stück, die nach dem Durchschnittspreise von 11 Rth. pro Stück ein Kapital von 75-80 000 Rth. repräsentieren, während auf den 120 Webstühlen für etwa 2500 Stück Leinen gegen 5000 Rth. Arbeitslohn verdient wird, indem durchschnittlich der Lohn auf 2 Rth. pro Stück sich berechnet."
Die Garnindustrie brachte somit erhebliche zusätzliche Geldmittel
- an reinem Arbeitslohn allein 20 000 Rth. im Jahr - unter das Volk. Ihr
Aufhören - die Dampfpfeife der mechanischen Webereien kündete
das Sterben der alten Hausindustrie an - ließ vor die Tür mancher
Familien "der geringen Klasse" das drohende Gespenst "Not" treten.
- Am 26. Januar 1888 "fand das Begräbnis unserer einst so berühmten
Leggeanstalt statt, indem die Utensilien auf der Legge amtlich versteigert
wurden ( "Vechtaer Zeitung", Nr. 10 von 1888.)".
So war die Lage der Heuerleute, der Tagelöhner, der nachgeborenen
Bauernkinder, kurzum die der nicht grundbesitzenden Landwirte keine erfreuliche,
selbst die kleinen landwirtschaftlichen Eigenbesitzer hatten schwer zu
ringen; schwer auch deshalb, weil die Nebenerwerbsquellen eine nach der
andern versiegten. Der Gedanke, all diese Nöte durch die Auswanderung
zu beheben, konnte, ja mußte leicht Wurzel fassen, zumal von seiten
der Regierung oder aus der Volksgemeinschaft heraus eine Hilfe nicht kam.
In dieser Zeit entstand das Auswandererlied:
Hier sind wir nur Bauernsklaven;
Dort fahren wir in goldenen Kutschewagen,
Drum auf, ihr deutschen Brüder, ja,
Es geht nichts vor Amerika (Kiel, Karl. S.
107.)!"
Auch d a s H a n d w e r k wurde vom Strom der
Auswanderung erfaßt, nach dem Anteilsatz sogar sehr stark.
1828 hatte der Kreis Vechta eine Wohnbevölkerung von 37 448 Personen;
die Volkszählung von 1875 ergab 31 100. Der Rückgang
der Einwohnerzahl hatte eine Verminderung der Bedürfnisse zur Folge,
also ein Weniger an handwerklicher Arbeit. Dazu kam die geringere
Kaufkraft der Leute; die Landwirtschaft hatte keine guten Zeiten, der Hollandsgang
nahm stark ab, die Garnindustrie ebenfalls, und die Auswanderer sparten
jeden Groschen. Zudem vergrößerte sich der Zugang zum
Handwerk. Landerwerb oder auch nur eine Heuer kam für nachgeborene
Kinder, vor allem Söhne, kaum in Frage, andere Nebenerwerbe flossen
nicht, da suchte man im Handwerk unterzukommen. Man machte die übliche
Lehrzeit und hoffte, dann möglichst rasch, wie es bis dahin geschehen,
selbständig anzufangen, vertrauend auf eigenes Können und verwandtschaftlichen
Kundenkreis. Es entstand eine "Überfüllung aller Gewerbe,
durch welche die Preise so heruntergesetzt werden, daß die Handwerker
nicht bestehen können (A III 9.)", schrieb
das Amt am 25. Juli 1834. So sahen sich manche Handwerker gezwungen,
sich anderen Erwerbsquellen zuzuwenden. Viele betrieben nebenher
Landwirtschaft, andere fingen ein Hökergeschäft an und vermehrten
dort die Konkurrenz. Die neue Handwerksordnung erregte das Mißfallen
"namentlich bei den Handwerksgesellen wegen der dem Publikum so nachteiligen
und daher so gehässigen Zunfteinrichtung ( A III
9.)" (gemeint sind Lehrjahre, Gesellenprüfung, Wanderjahre,
Meisterprüfung, Selbständigmachung nach Zulassung seitens der
Berufsorganisation). "Ist es nicht traurig, wenn unvermögende
Handwerksgesellen, welche Meister werden und so ihr Brot verdienen wollen
und können, von der fatalen Zunft gehindert wurden? Eben dies
ist der Fall bei dem Schmiedegesellen Anton Gudenkauf, ehelichen Sohn des
Zellers Gudenkauf auf Hagen, welcher, obgleich er in gutem Rufe steht,
zünftig gelernt und 10 Jahre als Geselle im Auslande gearbeitet hat,
schon jahrelang um Verdienst suppliziert und über 30 Rth. erfolglos
aufgewandt hat. Muß man unter solchen Umständen die Auswanderung
nicht als eine erfreuliche Erscheinung begrüßen (A
III 9.) ?" ließ sich der Vechtaer Bürgermeister
in einem Schreiben an das Amt aus. Noch eins kam hinzu. Solange
der Handwerker unselbständig war, konnte er an die Gründung einer
eigenen Familie nicht denken. "Beide wollen auswandern, sich aber
vorher verheiraten; da B. (= der Bräutigam) als Geselle nicht heiraten
kann, will er auf das von ihm begonnene Handwerk verzichten und als Tagelöhner
sich ernähren (A III 9.)." Die Einführung
der Klassen- oder Einkommensteuer, die allgemeine Unzufriedenheit erregte,
wurde vor allem vom Handwerksstand als drückend empfunden; da Belastungen
dieser Art in Amerika wegfielen ("gänzliche Steuerfreiheit"), war
auch sie Triebfeder zum Fortzug.
Ähnlich lagen die Verhältnisse beim Handel. Hinzu kam
noch, daß "Waren, welche gewöhnlich am Wohnorte eingekauft werden,
insbesondere Kolonialwaren, vielfach aus größeren Städten
bezogen (A III 9.)" wurden. Hiesige Handlungsgehilfen
erlernten den Großhandel in Holland und versuchten dann eigenes Glück
in Amerika.
g) D a s "T r e i b h o l z" (E i n z e l g ä n g e r).
Der Flutende Strom reißt Stücke der Uferböschung los,
Zweige und Blätter fallen hinein, werden mitgetrieben, tauchen unter
und auf und landen mit der Masse im Ozean. Kein Strom ohne "Treibholz",
auch nicht der Auswandererstrom.
Die große Masse Auswanderer vertauschte wegen der Enge der wirtschaftlichen
Basis die Heimat mit der Fremde, doch zogen auch E i n z e l g ä
n g e r aus besonderen Gründen mit. Im April 1832 wanderte
der Bruder des Ihorster Bauern Ferneding nach Nordamerika; er war Student
der Theologie, konnte seine Studien im Fremdlande rascher fortsetzen und
wurde bereits zu Pfingsten des folgenden Jahres zum Priester geweiht.
Die Nöte seiner Glaubensgenossen bewogen ihn, in Amerika zu bleiben,
auf die ihm zustehende Dammer Blutvikarie zu verzichten und sich der Seelsorge
seiner Heimatleute zu widmen. Er blieb nicht der einzige, der sich
aus religiösem Motive dem Strome anvertraute.
Anders lag es schon bei jenen, die sich hier "heimlich, still und leise"
verdrückten unter Hinterlassung trauernder Gläubiger, die das
Schuldkonto des "Ausgerissenen" durchstreichen konnten. In einem
Falle gelang es dem Gläubiger, durch die Polizei den Schuldner noch
vor dem Einschiffen in Bremerhaven zu fassen und ihn in die Heimat zur
Erfüllung seiner Pflicht zurückzubringen.
Gefallene Mädchen entzogen sich durch die Auswanderung
neugierigen Fragern und unliebsamen Hänseleien. In einem andern
Falle reiste eine Dammer Bäuerin, die als Witwe noch einem Kinde das
Leben gegeben hatte, ihrem Geliebten nach und nahm so den Nachbarn den
Anlaß zu Neckereien. Man macht sich so seine Gedanken, wenn
man im Dammer Sterberegister liest: "...Ehefrau oder Witwe des vor Jahren
entwichenen N. N., von dem man nicht weiß, ob er noch lebt."
Auch dieser Fall aus Fladderlohausen ist als Treibsel zu werten: "Flüchtig
geworden wegen Körperverletzung (D I a 19.)."
Der Flüchtige landete in Amerika. Erwähnt sei noch die
Auswanderung jener, die mit den Landesgesetzen oder gesetzlichen Einrichtungen
in Konflikt geraten waren, die sich außerhalb derselben stellen mochten
und, weil das nicht ohne "anzubrennen" ging, sich aus der Gesellschaft
entfernten. Unverständlich und häßlich aber war es,
daß jene dann noch aus ihrer Gegeneinstellung heraus andere durch
falsche Berichte oder gar aus gewinnsüchtigen Motiven zur Auswanderung
verleiteten.
Zum "Treibsel" sind dann noch jene zuzuzählen, an denen die Gemeinden
ein Interesse hatten, sie abzuschieben. Bereits aus dem Jahre 1832
meldet sich der erste Fall.
Am 3. April 1832 erklärte Dammer Kaufmann, "daß, wenn die
Familie N. N. den hiesigen Ort verlassen und sich nach Amerika begeben
würde, er zur Anschaffung ihrer Reise und zu den Transportkosten einen
Zuschluß geben würde ( A III 8.)".
40 Rth. wurden zu diesem Ende deponiert. Die fragliche Familie wurde
wie folgt charakterisiert: ".....in welchem nachteiligen Rufe die Familie
zu Osterdamme steht und wie sie von jener nicht allein der Verbindung mit
Diebes- und Räuberbanden, sondern auch einer direkten Teilnahme an
Diebstählen verdächtig gewesen ist (A III 8.)."
Die deponierten Mittel reichten allein nicht aus, man wandte sich an die
Gemeinde, die folgende Stellung einnahm: "Dem Kirchspiel Damme könnte
es daher nur eine erwünschte Gelegenheit sein, sich dieser Familie
für immer zu entledigen, als selbe ihre Absicht zu erkennen gab, nach
Amerika auswandern zu wollen, wenn ihr die erforderlichen Transportmittel
werden können. Das Kirchspiel ist daher nicht abgeneigt, dieselben
zusammenzubringen, wenn auf diese Weise die ganze Familie entfernt werden
könnte ( A III 8.)." Man veranstaltete
durch die Gemeinde eine Sammlung, die 158 Rth. erbrachte. Verlangt
wurden insgesamt 300 Rth. Der Kirchspielausschuß bewilligte
den Rest aus der Hundesteuerkasse. Die Familie wanderte aus.
Ähnliche Fälle, wenn auch nicht so kraß, kehrten mehrmals
wieder. Die Übersichten bringen unter "Bemerkungen" diesbezügliche
Hinweise: "Zwei mit Armenmitteln nach Amerika (A III 8.)"
oder "..einer Frau mit illegitimem Kind Unterstützung aus Armenmitteln
(
A III 8.)" oder aus dem Jahre 1851 und Holdorf: "Mädchen
N. N. für zwei uneheliche Kinder 60 Rth. aus Armenmitteln
(A
III 8.)" oder 1853 aus Damme: "Einer Familie Zuschluß
(A III 8.)" usw. Diesem Abschieben mit
Hilfe öffentlicher Mittel setzte die Regierung ein Ende, nicht zuletzt
auf Drängen vom Einwanderungslande aus: sie gebot den Ämtern,
"darauf zu achten, daß zu Übersiedlungen gemeingefährlicher
oder solcher Individuellen, deren Entfernung aus dem Herzogtum wünschenswert
wäre, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika weder öffentliche
Mittel verwendet noch Beihülfe dazu aus öffentlichen Mittel (A
III 7.)" verabreicht werden (14. Januar 1856). Alle
die so Auswanderten schwammen mit im großen Strom, tauchten unter,
tauchten auf und wurden vergessen. Das war vielleicht auch Mitzweck
ihres Fortgangs.
Das "Treibsel" war im Gewoge des Amt Dammer Auswanderungsstromes an
Zahl gering und machte nur den Bruchteil eines Prozentes aus; zur Abrundung
des Gesamtbildes, vor allem der Auswanderungsgründe, mußte darauf
eingegangen werden.
h) D i e M i l i t ä r d i e n s t p f l i c h t i g e n
Eine besondere Gruppe bildeten jene jungen Männer, die sich dem Wehrdienst entziehen wollten. Nach den gesetzlichen Bestimmungen konnte man militärpflichtigen Söhnen auch vom vollendeten 17. Lebensjahre die Auswanderung nicht verweigern, wenn sie im Familienverbande hinauszogen oder frei waren vom Militärdienste. Nicht immer wanderte die Familie mit aus, und man findet dann hinter den Namen der einzelwandernden jungen Leute die Bemerkung in den Listen: "Militärpflichtig" oder "...Nr. 6-9 wahrscheinlich, um sich dem Militärdienste zu entziehen" ( A III 7.) oder: "...die ausgewanderten Dienstboten wollen sich dadurch des Militärdienstes befreien" ( A III 7.). Besonders in den Jahren 1848/49 mehrten sich die Fälle, und aus dem Ideenkreise jener Zeit entsprang auch wohl die oberliche Lockerung, wonach den jungen Leuten ein Paß erteilt werden konnte, wenn sie versprachen , zur Losung wiederzukommen. Der Paß selbst erhielt dann die Bemerkung: "Ist militärpflichtig" (A III 7.) oder: "Inhaber hat sich zur nächsten Losung zu stellen" (A III 7.). Von dieser Vergünstigung machte man Gebrauch. Hermann Heinrich Brockmann aus Fladderlohausen wollte seine in Amerika verheiratete Schwester besuchen und beantragte am 28. März 1859 einen Paß. Das Amt hatte Bedenken wegen der Militärpflichtigkeit des Petenten und fragte höheren Orts an, "da zu befürchten ist, daß die Mehrzahl der jungen Leute des hiesigen Amtes, welche Pässe erbitten, der Militärpflicht sich entziehen und nicht zurückkehren werden" (A IV d 6.). Br. erhielt seinen Paß mit dem Bemerken: "Zu befristen bis zur nächsten Losung" (A IV d 6.); er reiste am 15. April 1859 über Bremerhaven ab. In den Protokollen jener Zeit liest man u. a.: "Ich will meinen Oheim besuchen und etwa in einem Jahre zurückkehren" oder "...daß er nicht auswandern wolle" und im folgenden Jahre 1860: "Möchte eine Reise nach Nordamerika machen und werde zum Untersuchungstermin zurück sein", auch "...verspreche, wenn ich am Leben bleibe, mich zur Untersuchung der Wehrpflichtigen meiner Jahresklasse, also März 1862, hier zu stellen" (A IV d 6.). Die Militärersatzkommission stellte jährlich eine Liste derer zusammen, die zur Losung hätten kommen müssen, doch nicht erschienen waren; die Gemeindevorsteher bemerkten dann hinter den Namen den Aufenthaltsort, und dabei kehrte immer und immer "Amerika" wieder. Ein Strafverfahren wurde anhängig gemacht, und eine Verurteilung erfolgte. Ein junger Mann aus Kemphausen bei Damme wanderte kurz vor Ausbruch des Krieges 1866 nach Amerika aus, nachdem er zweimal sich hier zur Losung gestellt hatte; die dritte Musterung wartete er nicht mehr ab und entfernte sich ohne Paß oder Konsens. Er war 21 Jahre in Amerika und kehrte darauf zu seiner in Kemphausen wohnenden Schwester zurück. Die polizeilichen Recherchen stöberten ihn auf, doch ging er auf Grund der 9. März 1869 erlassenen Amnestie frei aus, weil er vor dem 1. Januar 1846 geboren war. Er galt allerdings in seiner Heimat als Ausländer; mit Rücksicht auf sein Alter und seine Unbescholtenheit wies man ihn nicht aus.
i) W i r t s c h a f t l i c h e u n d p o l i t i s c h e K r i s e n.
Den raschen Fluß des Stromes beförderten auch wirtschaftliche
Krisen der Heimat. Die Jahre 1830 und 1844 brachten wenig Kartoffeln.
Man bezeichnete sie als "Hungerjahre". Von 1846 auf 1847 wütete
ein langer, strenger Winter, der den grünen Roggen stark verschwinden
ließ, so daß ein Scheffel Korn auf 33,5 Groschen stieg gegen
den Normalpreis von etwa 20 Groschen. Schlechte Kornernten kamen
1853-1856 herein; die Brotpreise erreichten eine seltene Höhe.
Nach dem bessern Jahre 1857 - ein schwerer Hagelschlag ging mehr im benachbarten
Bersenbrückschen nieder - brachten 1858 und 1859 wieder mindere Ernten.
In den Notzeiten reiften Auswanderungsabsichten rascher und wurden zur
Tat.
Es wirkten sich nach dieser Richtung auch politische Geschehnisse aus.
Die revolutionären Gedanken um 1830 und 1848 wühlten zwar die
ruhige Art des fälisch-engrischen Stammes nicht allzu stark auf.
Die Kriege gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und vor allem
gegen Frankreich (1870/71) trugen jedoch zum rascheren Flusse des Auswanderungsstromes
bei. Um diese Zeit mehrten sich jedesmal die Klagen über das
"heimliche" Entweichen junger Leute. "Aus der so ungewöhnlich
niedrigen Zahl der im Jahre 1861 ausgewanderten Personen wird auf eine
Abnahme der hier vorhandenen Auswanderungslust nicht geschlossen werden
dürfen. Nur der unter den Vereinigten Staaten von Nordamerika,
wohin sich die große Mehrzahl der hiesigen Auswanderer bisher gewandt
hat, ausgebrochene Bürgerkrieg und die dadurch hervorgerufene
Zerrüttung der dortigen Verhältnisse haben die Neigung zur Auswanderung
unterdrückt, aber nicht getilgt, und es ist wohl anzunehmen, daß
nach Herstellung geordneter Verhältnisse und gesicherter Zustände
in Nordamerika auch die Auswanderung dorthin wieder zunehmen wird."
(Amtsbericht (A III 7.).) Was der amerikanische
Freiheitskrieg im Auswandererstrom gestoppt hatte, machte man 1862 durch
das Bundesstaatsgesetz (homesteadacte) wieder wett: Jeder Einwanderer,
der amerikanischer Bürger werden wollte, hatte Anspruch auf 160 acres
(= 63 ha) unkultivierten Bodens zum Preise von 1/2 Dollar pro acre,
Das Gesetz wirkte sich hier bei uns bereits um die Mitte der 60er Jahre
aus.