"Siebenhundert Familien wohnen hier schon in Stallotown, so las ich neulich in einem nach Deutschland bestimmten Briefe, worauf ich die Adresse schreiben sollte, und 300 in Bremen, obgleich zu Bremen etwa 100 Familien seßhaft und die Stadt etwa 10 Wohnhäuser zählt. Nach der im September vorgenommenen Zählung wohnen zu Stallotown circa 200 Familien, und die Stadt hat erst 30 Wohnhäuser, meistens noch Blockhäuser. Andere halten in ihren Briefen jedem Einwanderer nicht allein bei seinem Herkommen eine Farmerey - Bauernstelle - gleich einem Edelgute entgegen, sondern führen ihm aus großer Gefälligkeit ebenfalls noch einen schönen gesattelten Rappen vor die Tür, um damit zu gefallen, zu traben, zu galoppieren, decken ihm dreimal am Tage den Tisch mit Braten und allerlei Gebäck, versteht sich alles vom besten Weizenmehle, und was dabei noch das ärgste ist, so hört man nicht selten aus dem Munde derjenigen, wovon ich weiß, daß sie Briefe ähnlichen Inhalts nach Deutschland schreiben, laute Klage. Was diese zu solchen Torheiten und Übertreibungen bewegt, habe ich bisher eigentlich nicht zu enträtseln vermocht, ob Selbstsucht und Eitelkeit zugrunde liegt, oder ob sie einen Verdienst darin finden, wenn sie recht viele Menschen aufs Geratewohl in die weite Welt und aus ihrem Vaterlande locken, bleibt mir zweifelhaft. So viel aber ist gewiß, daß mehrere dadurch zur Auswanderung bewogen wurden, für die es offenbar besser gewesen wäre, in der Heimat zu bleiben, daß noch mehrere aber durch unrichtige Angaben irregeleitet, vorzüglich in Rücksicht der Standeswahl und Ergreifung dieses oder jenes Geschäfts sich viele unnütze Ausgaben machen und manche Unannehmlichkeiten zuzogen . . ."
Da man hier in der Heimat gern leichtgläubig sein
wollte, wurde man blind, nahm unbesehen günstige Nachrichten als unbezweifelte
Wahrheit hin und verwarf von vornherein alles, was abträglich lautete.
Ebenso schlimm, ja noch verwerflicher arbeiteten die sogenannten
"Amerikanischen Boten", über die sich das Amt Damme in seinem
Schreiben vom 9, August 1845 wie folgt äußerte (A
II 7).
"Die Auswanderungen nach Amerika, die hier leider noch immer im Zunehmen sind, werden dadurch unverantwortlich gefördert, daß mehrere Personen die aus hiesiger Gegend schon vor mehreren Jahren auswanderten und sowohl hier als dort viele Bekanntschaften haben, jetzt regelmäßig als sogenannte Amerikanische Boten zwischen hier und Amerika hin und her reisen, jedes mal hunderte von Briefen mitnehmen und zurückbringen, und nach jeder Reise von Amerika hierher einige Monate in hiesiger Gegend verweilen und in dieser Zeit soviele Auswanderer als möglich anwerben, für welche sie dann die Überfahrt bei einem Schiffsmakler in Bremen besorgen und dafür von diesem für jeden Kopf eine bestimmte Prämie erhalten und dann mit der angeworbenen Auswanderer-Gesellschaft abreisen, um baldmöglichst zur Abholung einer zweiten zurückkehren. Daß diese Werber bei solchem für sie sehr vorteilhaften Gewerbe alle Mittel der Überredung und Aufheizung zum Auswandern anwenden und dabei häufig auch falsche Vorspiegelungen nicht verschmähen, läßt sich leicht denken, und die große Zahl derer, die sie fortwährend nach Amerika hinüberführen, beweist, daß ihre Bemühungen den besten Erfolg haben. Desto wünschenswerter ist es aber, daß diesem Treiben der Werber möglichst entgegengetreten werde. Wenn wirklicher Betrug oder hinterlistige Vorspiegelungen gegen sie erwiesen werden könnten, so würden sie nach Artikel 311 des Strafgesetzbuches zur kriminellen Strafe gezogen werden können. Der desfällige förmliche juristische Beweis wird aber sehr schwierig sein, und von der Einleitung einer kriminellen Untersuchung schwerlich ein Erfolg erwartet werden dürfen. Dem Amte scheint aber, daß gegen diese Leute polizeilich eingeschritten werden kann, daß man ihnen, die durch ihre Auswanderung ihre hiesigen Untertanen- und Domizilrechte aufgegeben haben, den Aufenthalt gar nicht zu gestatten und sie unter Androhung polizeilicher Strafe für den Fall der Rückkehr von hier ausweist. Gegenwärtig sind es besonders zwei Personen, die in hiesiger Gegend als sogenannte Amerikanische Boten nur auf die angegebene Weise agieren, nämlich ein gewisser Lining, der sich, wenn er hier ist, bei seinem Vater, dem Kötter Lining in Fladderlohausen, aufhält, und ein gewisser Niehues aus dem benachbarten hannoverschem Dorfe Ahe, von wo er dann auch den hiesigen Amtsdistrikt in seinen Werbegeschäften bereist. Wegen dieses letzteren wäre vielleicht zu dem angegebenen Zweck mit dem Königlichen Amte Vörden in Kommunikation zu treten und dürfte dem Niehues nach dem Dafürhalten des Amtes jedenfalls der Aufenthalt im hiesigen Amtsdistrikt von Polizei wegen untersagt werden können. Ob auf die angedeutete Art oder wie sonst gegen die Verführer zur Auswanderung verfahren werden sollte, darüber erbittet sich das Amt die höchste Verfügung Großherzogliche Regierung gehorsamst indem es nur noch bemerkt, wie die immer zahlreicher werdenden Auswanderungen besonders darin für die hiesigen Stellenbesitzer recht nachteilig werden, daß schon viele Heuerhäuser leer stehen und der Mangel an Dienstboten fühlbar wird."
Die Auswanderungslustigen bedienten sich der Boten gern,
sie sahen in ihnen wohlwollende, dazu schreib- und gesetzeskundige Heimatgenossen,
die ihnen den Weg dorthin, wohin ihr Sinnen stand, ebnen halfen.
Um das Geschäftliche bei der Auswanderung hatte
sich bereits in den 30er Jahren der Sierhauser Schullehrer Heinrich Stallo,
der Vater des erstausgewanderten Stallo, unter tätiger Mithilfe seines
Sohnes Heinrich bekümmert. Beide - auch der Sohn stand im Schulfache
- fanden sich bereit, den Auswandernden durch Vermittlung von Schiffsfahrkarten
Hilfestellung zu geben. Über ihre Tätigkeit beklagte sich das
Amt rm 14. April 1838 (A III 7):
"... noch zu bemerken, daß der Schullehrer Stallo zu Sierhausen, Kirchspiel Damme, mit seinem bei ihm lebenden Sohn, der sich ebenfalls dem Schulfache widmete, sich in hiesiger Gegend vorzugsweise damit abgibt, Anmeldungen von Auswanderungslustigen anzunehmen und für dieselben die Überfahrtskontrakte mit den Schiffsmaklern in Bremen abzuschließen. Es scheint unpassend, daß gerade ein Schullehrer die Auswanderungen, die insbesondere für die hiesigen Stellenbesitzer höchst nachteilig werden, auf solche Weise sehr befördert ... Das Amt hat ihn schon davon abgemahnt, allein ohne den gewünschten Erfolg."
Um dem wilden ungezügelten Anwerben Einhalt zu gebieten,
auch um die Wanderungslustigen vor Übervorteilung zu schützen,
wurde anfangs der 50 Jahre das Agentenwesen regierungsseitig geregelt.
Die zugelassenen Schifffahrtsgesellschaften, vor allem die Bremer,
bestellten daraufhin in allen Kirchorten ihre Vertreter, die Überfahrtskontrakte
vermittelten und den Auswanderern beratend zur Seite stehen sollten. Sie
erhielten von der Gesellschaft eine Prämie, da das Geschäft etwas
einbrachte, verstanden sie es sehr gut, die Werbetrommel zu rühren.
Deswegen beschränkte die Regierung später die Zahl und gestattete
jeder Gesellschaft nur mehr zwei Agenten für den ganzen Amtsbezirk.
Genaue Vorschriften für sie bezweckten vor allem, das Entweichen Militärpflichtiger
zu verhindern.
Verschiedene kirchliche Vereine, so der St. Raphaels-Verein,
nahmen sich der Auswanderer an, wenn auch mehr auf religiösem Gebiete.
Für den "Verein zum Schutze deutscher Auswanderer" schlug das
Amt als seine Vertreter vor. Kaufmann J. Püttmann, Damme, Gemeindevorsteher
und Kaufmann Middendorf, Holdorf, und Lehrer Peters, Neuenkirchen.