Die Wanderungen um 1830/31 müssen in andern Gegenden stärker
eingeschlagen haben. Die Ämter Vechta, Steinfeld und Cloppenburg
wandten sich an die Regierung in Oldenburg, die Bewegung abzustoppen.
Drei Gründe waren für das Ersuchen maßgebend. ,,Über
den Verlust der Untertanen kann man sich beruhigen, wenngleich manche vortreffliche
Familien schon
von uns geschieden sind, denn es ist in allen Ständen überfüllt
(A
III 9.)." Man war also mehr um die Qualität als um
die Quantität der Auswandernden bekümmert. Es ging um wagemutige,
unternehmungslustige, arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, die
der Heimat verlorengingen. Was damals schwerer wog, war: Es wurden
durch die Auswanderung der Heimat beträchtliche Kapitalien entzogen.
Dadurch verringerte sich der Geldumlauf, es sank die Steuerkraft, und da
das Steuersoll blieb, befürchtete man für die Zurückbleibenden
eine stärkere Belastung. Am meisten drückten die Beiträge
zur Armenkasse. Die gelegentliche Abwanderung Armer begrüßte
man, ja unterstützte sie sogar, allein die Mehrzahl blieb hier, und
durch die Notzeiten vergrößerte sich ihre Zahl und damit die
Belastung der Unterhaltsträger. Noch ein drittes Moment kam
hinzu und veranlaßte die Bitte. Es zogen viele junge, im vormilitärischen
Alter stehende Burschen fort, legal und illegal. Es hatte damals
jeder Kreis zur Auffüllung des Heeresbestandes eine bestimmte Anzahl
Militäranwärter zu stellen. Die Quote wurde amtsseitig
nach dem Geburtenanfall auf die Gemeinden umgelegt. Die Pfarrer der
Kirchorte zogen aus dem Geburtenregister die militärpflichtigen Jünglinge
heraus. Die Militär-Ersatzkommission prüfte die Auszumusternden
auf die Militärtauglichkeit. Die Ausgehobenen - die Zahl war
größer als der Bedarf - zogen das Los; die niedrigsten Nummern
hatten zum Dienst einzurücken, während die mit hohen Nummern
davon frei kamen. War nun der Jahresanfall an jungen Burschen klein
- er wurde durch eine starke Auswanderung verkleinert - wurden die hierbleibenden
in stärkerer Anzahl zum Militärdienst herangezogen, was die Nichtauswanderer
als Nachteil empfanden.
Die Regierung antwortete am 27. März 1832 auf die obige Vorstellung in einer Rundverfügung. Sie konnte auf Grund der gesetzlichen Vorschriften betreffend Austritt aus dem Staatsverband die Auswanderung nicht unterbinden oder gar verbieten, weil ein solches Vorgehen ein Eingriff in die persönliche Freiheit war und also nach der damaligen liberalen Einstellung indiskutabel (3). Es konnte infolgedessen nicht einmal eine wirkliche Erschwerung Platz greifen. Man wollte den Auswandernden mit Vernunftgründen beikommen. Daher wies die Regierung die Ämter an (A III 7.), ,,diesem gewissenhaft zum eigenen Verderben der auswandernden Individuen gereichenden Schwindel entgegenzuwirken" und hielt sie an, ,,die Auswandernden auf die Folgen ihres oft gewiß sehr unüberlegten Beginnens aufmerksam machen zu lassen und autorisiert demnach die Kreis Vechta und Cloppenburg nicht allein mittels Amtspublikationen, sondern auch jeden, dessen Intention, nach Amerika auszuwandern, sie in Erfahrung bringen sollten, zu Protokoll noch besonders darauf aufmerksam zu machen:
"daß die Auswandernden für sich und ihre begleitenden Familien dadurch alle Untertanenrechte dieses Landes verlieren und demnach, wenn sie etwa dort nicht die geträumten, nur zu oft übertriebenen günstig geschilderten Vorteile finden sollten, ihre Rückkehr in die hiesigen Länder von denselben Bedingungen abhängig sei wie die eines jeden andern Fremden, und daß namentlich diejenigen, welche ihr von hier mitgenommenes Vermögen verlieren und dann in größter Dürftigkeit - wie soviel Auswanderer hierher zurückkehren - hierher zurückzukehren beabsichtigen sollten, unter keinen Bedingungen eine Aufnahme in ihrem von ihnen verlassenen früheren Vaterlande finden werden, da die Regierung es nicht verantworten kann, daß diejenigen, welche ihr Vermögen und ihre besten Kräfte im fremden Lande vergeuden, später hiesigen dem Vaterlande treu gebliebenen Untertanen mittelst Anspruch auf Unterstützung aus Armenmitteln zur Last fallen."
Das Amt kam dieser Aufforderung zur Aufklärung und Warnung
der Auswanderungslustigen nach. Ein Beispiel dafür möge
hier folgen:
,,Es erschien Maria Agnes Sünneberg, Witwe des Johann
Heinrich Sanderhaus zu Borringhausen, und erklärte, daß sie
mit ihren zwei Kindern Franz Heinrich und Bernardina nach Amerika auswandern
wolle, ingleichen die unverheiratete Schwester der Vorigen Maria Elisabeth
Sünneberg aus Borringhausen, welche dieselbe Absicht zu erkennen gab.
Dieselben wurden in Gemäßheit Großherzogliches
Reskripts vom 27. März 1832 darauf aufmerksam gemacht, daß sie
für sich als ihre sie begleitenden Familie dadurch die Untertanenrechte
ihres Landes verlieren und danach, wenn sie etwa nicht die geträumten
und nur zu übertrieben günstig geschilderten Vorteile finden
sollten, ihre Rückkehr in die hiesigen Lande von denselben Bedingungen
abhängig sei wie die eines jeden andern Landes und besonders namentlich
diejenigen, welche ihr von hier mitgenommenes Vermögen dort verlieren
und dann in größter Dürftigkeit wie so viel Auswanderer
anderer Länder hierher zurückzukehren beabsichtigen sollten,
unter keiner Bedingung eine Aufnahme in ihrem von ihnen verlassenen früheren
Vaterlande finden würden.
Die Comparentinnen wollten sich dieses zur Nachricht dienen
lassen und ist denselben Abschrift des Protokolls zur Nachricht und Nachachtung
zugefertigt" (Protokoll des Amts Damme vom 6. April 1832) (A
III 7.)
Am gleichen Tage wurden in derselben Weise belehrt Maria Engel
Gausepohl, Witwe des Hermann Heinrich Meyer zu Reselage für sich und
ihre drei Kinder Agnes, Heinrich und Elisabeth; am folgenden Tage Hermann
Bolke aus Damme und Frau Catharina Maria Vogelsang und Kinder Catharina
Maria und Johann Friedrich, (A III 7).
Ferner Schmied Heinrich Börger aus Damme und Frau Engel, geb.
Brinkmann, mit 5 Kindern: Agnes, Elisabeth, Anton, Anna Maria und Bernardina.
Ferner am:
09.4. Witwe Hermann Heinrich Im Sieke Maria Engel, geb.
Vennemann, aus Borringhausen mit 5 jährigem Sohne Bernard;
26.4. Bernard Fehrmann aus Hüde, 29 Jahre alt; Christopher
Ortmann aus Rottinghausen für sich und seine Frau Catharina
Maria, geb. Pepersack, und Tochter Maria Catharina (12 Jahre) - wollten
am 27. Morgens früh abreisen;
27.4. Maurer Hermann Heinrich Haverkamp aus Holdorf mit Frau
Catharina Adelheid, geb. Timphaus, und Sohn Heinrich (4½ Jahre)
und Joseph (1½ Jahre);
07.5. Heinrich Steinemann aus Dümmerlohausen mit Frau Elisabeth,
geb. Fischer, Tochter Elisabeth (6 Jahre) und Sohn Bernard
(1½ Jahre);
09.5. Heuermann Hermann Heinrich Moormann aus Holdorf mit Frau
Maria Elisabeth, geb. Tabke, Sohn Bernard (4 Jahre), Tochter Elisabeth
(1½ Jahre);
11.5. Schuhmacher Johann Heinrich Diekhaus aus Holdorf, Frau
Elisabeth, geb. Neteler, und Sohn Bernard Heinrich;
06.6. Exkolon Johan Heinrich Meßmann aus Neuenkirchen und
Frau Anna Maria Mayborg;
26.6. Johann Theodor Thamann aus Nellinghof;
24.7. Schuster Johann Bernard Inderrieden aus Damme mit Tochter
Anna Maria;
25.7. Maurer Wilhelm Rottinghaus mit Frau, 5 Kindern und 1 Enkel;
13.8. Bernard Heinrich Weber aus Bieste mit Frau und Sohn;
23.8. Johann Bernard Reling aus Rottinghausen mit Frau und 2
Kindern;
05.9. Hermann Heinrich Ponshoff mit Frau;
07.9. Johann Heinrich Goesmann mit Frau und 2 Kindern aus Holdorf.
Mit Goesmann brach das Register ab. Das Amt sah vielleicht die
Zwecklosigkeit der Protokolle ein. Die Auswanderungslustigen hörten
sich es an und schieden trotzdem, die meisten schon in allernächster
Zeit. Der Auswandererstrom wurde durch Ermahnungen und Warnungen nicht
gehemmt. Hinsichtlich der Auswanderung der im vormilitärischen
Alter stehenden jungen Leute entschied die Regierung klar, ,,daß
diejenigen Wehrpflichtigen, welche bereits geloset haben und zum Dienst
demnächst angewiesen werden möchten, vor gänzlich beendigter
Dienstzeit unter keinen Bedingungen Pässe erhalten können.
Bei Auswanderung ganzer Familien ist den Söhnen, welche noch nicht
zwanzig Jahre alt sind, bei ihrer Abreise mit ihren Eltern kein Hindernis
weiter in den Weg zu legen, da sie mit diesen Untertanenrechte gewinnen
und verlieren, jedoch ist die in dem Circularreskript vom 27. März
angeordnete Bedeutung auch speziell diesen
Haussöhnen, wenn sie das 14. Lebensjahr zurückgelegt
haben, zu erteilen (A III 7.)."
Doch die Klagen über die immer noch starke Auswanderung
wollten nicht aufhören, ja sie kamen auch aus andern Ämtern und
veranlaßten die Regierung, von den Ämtern Vorschläge zur
Beschränkung der Auswanderung einzufordern mit der Bemerkung darüber,
warum gerade der Fortzug aus den hiesigen Ämtern so erheblich sei.
Zur Hemmungsaktion äußerte sich das Amt Damme am 31. Juli
1834 wie folgt (A III 7.):
,,Daß dieser so sehr überhandnehmenden Auswanderungssucht Grenzen gesetzt werden können, wäre sehr wünschenswert, denn sie zeigt sich für die hiesige Gegend sehr verderblich. Es ist damit nicht nur der Nachteil verbunden. Daß sehr bedeutende Kapitalien aus dem Lande gehen und deren Einziehung bei den meisten Schuldnern große Verlegenheit und manchmal den Ruin derselben herbeiführt, sondern die hiesige Gegend verliert auch die fähigsten und fleißigsten Arbeiter, ein Nachteil, den die ohnehin schwer belasteten großen Grundbesitzer fast hart empfinden, da sie nach den hiesigen Verhältnissen der Hülfe und Vorteile, welche tüchtige Heuerleute ihnen gewähren, durchaus nicht entbehren können. Allein es ist gewiß sehr schwierig, gegen das einmal eingerissene Übel zweckmäßige und wirksame Maßregeln aufzufinden, wenigstens muß das Amt gestehen, daß es bei seiner geringer Einsicht zu dem Ende keine Vorschläge zu machen weiß, deren Ausführung nicht von der einen oder andern Seite besonders auf die persönliche Freiheit so großen Bedenken unterworfen ist, daß es sie selbst für ungesund halten muß..."
Dann gab das Amt einen Vorschlag aus dem Publikum weiter:
die Regierung solle verbieten, ,,daß diejenigen, welche auszuwandern
beabsichtigen, ihr Mobiliar mit Zahlungsfrist versteigern lassen und dann
von den Kaufgeldern gegen Cession derselben Vorschüsse empfangen,
was hier fast regelmäßig geschieht". Es verwarf jedoch
selbst diesen Weg in der Überzeugung, daß ,,dieses Mittel zur
vorteilhaften Veräußerung der fahrenden Habe der Auswanderungslustigen
von selbst bald ganz verfalle, wie denn überhaupt wohl anzunehmen
sein möchte, daß die jetzt herrschende Auswanderungssucht bald
den höchsten Grad erreicht haben und dann ebenso schnell wieder abnehmen
wird, als sie entstanden ist ... alles Verbieten und Abmahnen ist dabei
gewiß vergeblich und würde wahrscheinlich die Sache nur noch
verschlimmern (A III 7.)". ,,Da man jedoch
bei vielen Personen erst den Entschluß zur Auswanderung erfährt,
wenn sie ihre Habe und Güter zu Golde gemacht haben und sich also
in einer solchen Lage befinden, daß sie hier ihren Unterhalt nicht
mehr finden können, mithin solche Leute einer gewissen Verarmung entgegengehen
und manche Familien zur Verzweiflung getrieben würden, wenn man sie
von ihrem Vorhaben zurückhalten wollte, so muß die Anordnung
dieser Maßregel schon bedenklich erscheinen (A III
9.)". Aus dieser Ursache heraus glaubte das Amt, daß
man im übrigen aber keine Beschränkung der Freiheit eintreten
lassen dürfe. Weitere Vorschläge zielten hin auf die Teilung
der Marken, auf Moorsiedlungen; auch wünschte man, daß ohne
Pässe oder sonstige Bescheinigungen, wohin auch die Taufscheine gehörten,
niemand auf den Transportschiffen zugelassen werden dürfte. ,,...kürzlich
haben sich abermals mehrere Wehrpflichtige, die am 1. K. M. in Dienst treten
mußten, heimlich entfernt und dem Vernehmen nach in Bremerhafen sich
nach Amerika eingeschifft. Es wäre schon sehr zu wünschen,
daß die Polizei in Bremerhafen die Einschiffung der mit einem gehörigen
Paß nicht versehenen Personen mit großer Betriebsamkeit zu
verhindern suchte (A III 7.)". Dieser
Vorschlag fand Beachtung; es wurde die Polizeidirektion zu Bremen ersucht,
in dieser Richtung vorzugehen, was sie zusagte.
Die Auswanderungen nahmen ihren Fortgang und erreichten 1844
ihren für das Amt Damme höchsten Stand mit 447 Personen; die
Gegenmaßnahmen waren wirkungslos geblieben. Senkten sich dann
nachher einmal die Zahlen, so heiß es:
Die Bewegung versandet. Man sprach von wiedererwachter Vaterlands-
und Heimatliebe. Als 1859 die Zahl erneut auf über 200 hinaufkletterte,
fand man das unerklärlich.
Das Anhalten des Abflusses machte den Regierungen der Länder schwere Sorgen. Aus dem Gefühl, daß dagegen etwas Durchgreifendes geschehen müßte, wandte sich die oldenburgische Landesregierung unterm 11. August 1859 an die Ämter: ,,Da nach einer vom Großherzoglichen Statistischen Bureau aufgemachten Zusammenstellung besonders in den Ämter Vechta, Steinfeld, Damme und Löningen die Auswanderung fortwährend sehr erheblich ist, wünscht das Großherzoglichen. Staatsministerium, daß die Frage allgemein in Erwägung gezogen werde, ob und was geschehen könne, um die Auswanderung zu vermindern. Da wohl auch vorzugsweise der Mangel in Gelegenheit zum Erwerb eines Grundeigentums viele zur Auswanderung veranlaßt, ob nicht durch raschere Betreibung der Markenteilungen verfügbarer Grund und Boden gewonnen werden kann, und ob es sich nicht empfiehlt, die Eingesessenen auch auf die Gelegenheit zum Ausbau in den Moorkolonien aufmerksam zu machen (A III 9.)."
Die Ämter hatten es mit der Beantwortung gar nicht so eilig, weil zur Kernfrage Neues nicht beigebracht werden konnte. Erst eine Anmahnung brachte die Sache wieder in Fluß. Die Stellungnahme der drei Gemeinden und des Amtes, die zur Lage jener Zeit und zu den heimatlichen Verhältnissen sich äußerten, sei wörtlich gebracht.
Gemeinde N e u e n k i r c h e n (28. August 1859) (A III 8.).
,,...berichtet Unterzeichneter nach der stattgehabten Beratung
mit dem Gemeinderat, daß nach Ansicht des Gemeinderates wenig zur
Verminderung der Auswanderung geschehen könne, weil die Markenteilung
hier schon lange beendet ist, und überhaupt die Markenteilung würde
die Auswanderungen nur noch vergrößern, weil dadurch die Markgenossen
nur bevorteilt werden und die Auswanderer mehrst aus Heuerleuten bestehen
und diesen durch die Markenteilung ihre Freiheit zum Viehweiden, Plaggenstechen
und Torfraben auf Markengrund, wo dieselben der Lage nach Erwerb ziehen
können, genommen wird.
Es würde aber von Nutzen sein zur Verminderung der Auswanderung,
wenn die Schulzeit, und zwar die tägliche während der Sommerschule
zu Besuch der Schule morgens von 10 bis 12 Uhr, nachmittags von 1 bis 3
Uhr bestimmt werde, weil dann die Heuerleute ihre schulpflichtigen Kinder
während des Sommers als Viehhirten vermieten können und sich
dadurch die Ernährung ihrer Kinder erleichtern, was nach dem jetzigen
Schulbesuch nicht geschehen kann.
Dann würden die Auswanderungen noch vermindert werden,
wenn über die vielen unentgeltlichen Arbeiten, welche der Heuerling
zu jeder Zeit dem Colon resp. Heuerherrn beliebige Zeit auf seinem Hofe
zu verrichten hat, eine gesetzliche Regelung und überhaupt so, daß
eine Verminderung der Arbeiten am Hofe des Heuerherrn daraus hervorgeht,
getroffen werde.
Gemeinde H o l d o r f (30. August 1859).
Ein Gegenstand, worüber man seit einiger Zeit allgemeine
Klage hört, ist das neue Schulgesetz mit seiner strengen Durchführung.
Die großen Grundeigentümer und Begüterten klagen über
die große Contribution zum Gehalte der Schullehrer, deren in der
kleinen Gemeinde sechs zu besolden, Heuerleute aber und der geringe Mann
gehalten sind, Tag an Tag, im Sommer sowohl als im Winter, ihre Kinder
zur Schule zu schicken, deren sie oft so sehr bei der Arbeit bedürfen
oder die sie sonst als Viehhirten usw. Im Sommer vermieten konnten.
Bauern können keine Schulkinder in Dienst nehmen, weil sie zur Schule
müssen, und so kommt es, daß geringe Eltern Ihre Kinder, die
sie der Arbeit wegen gut entbehren könnten, im Sommer zu Hause behalten
müssen. Ja, inwiefern diese Klage berechtigt, sei dahin gestellt,
Tatsache aber ist, daß man nicht selten Äußerungen hört
wie diese:
,,Vom Gutsherrn haben wir uns freigekauft, sind aber den Schullehrern
wieder eigenhörig geworden" - oder: ,,Man ist ja nicht Herr seiner
eigenen Kinder mehr!"
Als Hauptgrund der besonders in diesem Jahre zahlreichen Auswanderungen
ist auch anzusehen die beiden letzten im allgemeinen unfruchtbaren Jahre.
Diese waren nämlich so, daß ein Landmann ohne ausstehendes Vermögen
(und vielleicht auch dann noch nicht) nicht sein Auskommen haben konnte,
während er in den guten Jahren, die vorhergingen, gewohnt war,
Überschuß zu haben. Wenn aber jemand sieht, daß
er von Jahr zu Jahr zusetzen oder Schulden zu machen gezwungen ist, so
verläßt er lieber die Heimat, wenn ihm anderswo irgend welche
Aussicht geboten wird.
Obwohl die Klassensteuer (= Einkommensteuer) bisher keinen Grund zur Unzufriedenheit abgeben konnte, wird sie doch als ungewohnte ziemlich bedeutende Abgabe für die Zukunft vielleicht manchen Anlaß zum Murren über große Besteuerung sein, wie man schon jetzt mißliebige Äußerungen darüber hören kann.
Werden auch viele zum Auswandern bewogen, weil sie hier verschuldet
oder unverschuldet ihr Auskommen nicht finden, so gibt es andererseits
auch viele, die hier ihre gute Existenz haben und für die Zukunft
haben könnten und dennoch auswandern. Diese letzten sehen zu
häufig Leute aus Amerika herüberkommen, die dort dem Anschein
und dem Sprechen nach in kurzer
Zeit reich geworden; von diesen lassen sie sich allerlei vorprahlen,
geben ihr Geschäft daran und wandern aus, um auch drüben ihr
Glück und Reichtum zu suchen. Andern werden in Briefen von Freunden
und Bekannten glänzende Anbietungen gemacht, wenn sie herüberkommen
wollen; wird ihnen das Geld zur Überfahrt geschickt, und so läßt
sich mancher verleiten, seine oft ganz leidliche Stellung in Deutschland
aufzugeben, um in der Fremde eine bessere zu suchen.
Wenn aber Großherzogliches Amt in der Teilung der Marken ein
Mittel zu erblicken glaubt, der Auswanderung zu steuern, in dem Grund und
Boden zum Anbau gewonnen würden, so glaube ich, daß dieser Plan
durchgeführt für die Gemeinde Holdorf ganz und gar diesen Zweck
verfehlen würde. Zudem ist auch im Kirchspiel Holdorf nur noch
die Mark der Bauerschaft Holdorf ungeteilt. Es stellt sich aber heraus,
daß in Fladderlohausen und Ihorst, wo die Marken schon seit Jahren
geteilt sind, die Vermögensverhältnisse des ,,kleinen Mannes",
der doch am meisten auswandert, nicht günstiger, wenn nicht noch schlimmer
sich gestalten als in Holdorf. An Grund und Boden zum Ackerbau fehlt
es hier weniger als in Dünger, dieser aber wird vorzüglich durch
Plaggenstich aus der Gemeinheit gewonnen. Woher also sollten Heuerleute
und klein Grundeigentümer ihren großen Bedarf an Dünger
nehmen, wenn ihnen der freie Plaggenstich benommen? Auch keine Schafe
könnten mehr von ihnen gehalten werden. Zudem ist die Holdorfer
Mark mit Ausnahme einiger Gegenden zur Cultivierung weniger geeignet.
So viel steht fest, daß manche, die jetzt noch nicht ans Auswandern
gedacht, sogleich fortziehen würden, wenn es zur Teilung der Mark
käme. Moorkolonien können im Kirschspiel Holdorf ebensowenig
angelegt werden."
Gemeinde D a m m e (30. August 1859).
Die Frage, ob der Auswanderung durch irgendein geeignetes Mittel vorgebeugt werden könne, muß im allgemeinen verneint werden, da die Erfahrung es genügend lehrt, daß ausdauernde Arbeiter, welche die hiesige Bevölkerung durchgehends sind, in dem freien Amerika vorzugsweise schnell zu einem Wohlstande gelangen können.
Bei der großen Ausdehnung, welche die Auswanderung hier angenommen, sind hier schon viele Familien, welche Angehörige in Amerika haben, wodurch viele zur Auswanderung verleitet worden. Nicht selten geschieht es, daß die Gelder zur Überfahrt von Amerika geschickt werden. Junge Leute, welche ihr Vaterland verlassen haben, um sich dem Militärdienste zu entziehen und als Deserteure hier nicht wiederkommen dürfen, ruhen nicht eher, als bis einer oder der andere ihrer Angehörigen, oft auch die ganze Familie, ihnen gefolgt ist, und es steht zu fürchten, daß, wenn eine erhöhte Präsenszeit eintritt, dies noch in erhöhtem Maße Einfluß üben wird.
In vielen Fällen ist auch die Unzufriedenheit mit der hiesigen Einrichtung die Ursache der Auswanderung, als deren vorzüglichste ich das Schulgesetz hervorheben muß. Namentlich glaubt man, daß das Einkommen der Lehrer durchgehends zu hoch normiert sei, da die Lehrer hier bei ihrem früheren Gehalte schon ein recht gutes Einkommen hatten und jetzt bei ihrer erhöhten Einnahme den Bauern gleichstehen, wenn nicht gar sie übertreffen.
Mehr als dieses drückt aber den kleinen Mann der Schulzwang. Es kommt häufig auch bei solchen Leuten, die ihre Kinder sonst zur Schule schiecken, der Fall vor, daß ihr schulpflichtiges Kind irgendeiner nicht aufzuschiebender Arbeit wegen zu Hause bleiben muß; früher konnte in einem solchen Falle der Lehrer oder der Herr Pastor Erlaubnis erteilen; nach der neuen Einrichtung kann niemand dispensionieren, vielmehr muß für jeden halben Tag, wenn ein Kind fehlt, eine Brüche bezahlt werden. Diese Maßregel wird mit der größten Strenge durchgeführt. Inwiefern eine rasche Betreibung der Markenteilung die Auswanderung hemmen würde, ist nicht einzusehen; Anbau in den Moorkolonien können hier nicht angelegt werden und die Eingesessenen zu einer Niederlassung in den bereits in hiesigen Lande angelegten zu veranlassen, würde voraussichtlich keinen Erfolg haben."
Das Amt faßte nun seinerseits in der Antwort vom 11. August 1860 die von den Gemeinden hereingegebenen Gutachten zusammen und war der Ansicht, ,,daß vom Staate nichts geschehen kann, um die Auswanderung zu vermindern, und daß die Teilung der noch ungeteilten Mark eher die Auswanderung der Heuerleute fördern als mindern wird (A III 7.)".
Zur wirklichen Behebung der Auswanderung wies der Gemeindevorsteher
von Visbek im Amte Vechta einen gangbaren Weg. ,,Zweckmäßig
möchte es sein, um gegen die Auswanderungslust etwas zu wirken, wenn
der arbeitenden Klasse mehrere Erwerbsquellen, namentlich durch Anlegung
von Chausseen und andern öffentlichen Arbeiten verschafft würden
(A
III 7.)". Also: Vermehrte Arbeitsmöglichkeit, da
jede Arbeit, richtig geleitet und gefördert, immer neue Arbeit und
damit Verdienst schafft. Als in Lohne und Dinklage die Industrie
auf kam und sich ausbreitete, ging in genannten Orten die Auswanderung
zurück, wohl am stärksten in Lohne, wo die Industriearbeiter
fast restlos landverbunden blieben. Für den Raum des alten Amtes
Damme kann man von einer Industrie in damaligen Zeiten nicht sprechen.
Ferner hätte, und zwar schon bald nach der deutschen Einigung im Jahre
1870/71 die deutsche Ostsiedlung einsetzen können und müssen,
um den Blutsüberfluß statt nach dem fernen überseeischen
Westen nach dem deutschen Osten zu leiten. Die Ostsiedlung in den
Grenzbezirken zog erst kurz vor der letzten Jahrhundertwende den Bereich
des Amtes Damme in ihren Bann, und zwar mit gutem Erfolge für die
Abwandernden und für Deutschland.
-Vorerst floß der Strom in alter Richtung weiter.
3) Die Auswanderungspolitik der oldenburgischen Regierung in Birkenfeld ist dargestellt bei R. Mörsdorf: Die Auswanderung aus dem Birkenfelder Land. Bonn 1939. S. 49 ff.